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  3 (2004), Nr. 3: Inhalt
Siegrid Westphal
Projektvorstellung: Nachwuchsgruppe 'Eigentums- und Besitzrechte von Frauen in der Rechtspraxis des Alten Reiches (1648-1806)' an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
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Bisherige Forschungen, die nach der Stellung von Frauen in der Rechtspraxis des Alten Reiches fragen, konzentrieren sich fast ausschließlich auf strafrechtlich relevante Auseinandersetzungen. Frauen gerieten dabei etwa als Hexen, Kindsmörderinnen oder Beteiligte an Unzuchtsverfahren in den Blick. Dass die zivile Rechtsprechung noch nicht in demselben Maße untersucht worden ist, hängt mit der auch weiterhin dominierenden Forschungsthese zusammen, Frauen seien in der Frühen Neuzeit aufgrund einer umfassenden Geschlechtsvormundschaft weder rechts- noch geschäfts- oder handlungsfähig gewesen. Erste Untersuchungen, welche die vielfältigen Teilhabemöglichkeiten von Frauen an Herrschaft, ihre weitgehende Geschäftsfähigkeit sowie das in der Rechtspraxis häufig eingeschränkte Instrument der Geschlechtsvormundschaft behandeln, deuten jedoch auf eine wesentlich bessere Rechtsstellung der Frau im Zivilrecht als bisher angenommen.
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Weiteren Aufschluss können nur eingehende Untersuchungen der Rechtspraxis erbringen. Zuverlässigere Synthesen sind hier vor allem durch die Analyse der Rechtsprechung der Obergerichte, also der höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich und der territorialen Obergerichte, möglich. In diesem Kontext ist die Nachwuchsgruppe 'Eigentums- und Besitzrechte von Frauen in der Rechtspraxis des Alten Reichs (1648-1806)' (Prof. Dr. Siegrid Westphal, Dr. Nicole Grochowina, Hendrikje Carius M.A.) angesiedelt, die seit Januar 2002 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitet. Eigentum wird dabei nicht im engen juristischen Sinn als Zuordnung von Sachen zu Personen verstanden, sondern als ein Schlüsselthema der Gesellschafts- und Kulturgeschichte. In Anlehnung an das Konzept der Eigentumskulturen (Hannes Siegrist / David Sugarman), worunter symbolische Sinnordnungen zu verstehen sind, die Gesellschaften strukturieren und an denen sich soziale Gruppen, Gesetzgeber, Experten und Laien orientieren, wird in drei sich auf unterschiedliche Ebenen der Gerichtsbarkeit beziehende Studien nach der Bedeutung der Kategorie Geschlecht für die Ausgestaltung von Eigentumskulturen gefragt.
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Im Projekt 'Partizipation durch Eigentum. Frauen vor dem Jenaer Hofgericht (1648-1806)' werden unter Berücksichtigung quantitativer und qualitativer Aspekte die Handlungsmöglichkeiten von Frauen vor dem höchsten Gericht des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach in den Blick genommen.
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Im Mittelpunkt einer zweiten Studie stehen die Juristen des Jenaer Schöppenstuhls und ihre Spruchtätigkeit in Fällen von strittigen Eigentums- und Besitzrechten von Frauen (1780-1800), weil sie mit Hilfe ihrer Gutachten die Eigentumskultur über die Grenzen der thüringischen Territorialstaaten hinaus mitgestalteten. Ihnen kam auch deshalb eine besondere Rolle zu, weil sie sowohl am juristischen Diskurs teilnahmen, der die Geschlechterordnung zu manifestieren suchte, als auch gleichzeitig in der Rechtsprechung Ausnahmefälle, unterlaufene Normen, Besonderheiten in lokalen Erbrechten und unterschiedliche Formen von Partikularrechten zu verhandeln hatten.
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Die dritte Studie konzentriert sich auf einen Vergleich nationaler Eigentumskulturen, und zwar auf der höchsten institutionalisierten Ebene der Rechtsprechung, um Unterschiede, aber auch staatenübergreifende Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Nutzung der Gerichte bei Eigentumskonflikten von Frauen herauszuarbeiten bzw. bisher angenommene übergreifende Gemeinsamkeiten zu hinterfragen. In der englischen Eigentumskultur - so gegenwärtige Forschungen - stand das männliche, besitzende Individuum im Vordergrund. Bestimmte Gruppen von Frauen verfügten entweder über keine oder nur extrem eingeschränkte Eigentumsrechte. Im Alten Reich präsentierte sich die Eigentumskultur dagegen facettenreicher und mit unterschiedlichen Möglichkeiten für Frauen, diese zu gestalten. Instrumente wie die Geschlechtsvormundschaft etwa galten nicht uneingeschränkt in allen Territorien, Kauf- und Handelsfrauen waren von beschränkenden Regelungen ausgenommen und auch Ehefrauen stritten vor den höchsten Gerichten um ihr Eigentum.
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Im November 2002 stellte die Nachwuchsgruppe erste Forschungsergebnisse auf dem Workshop 'Frauen vor den höchsten Gerichten im Alten Reich' zur Diskussion. Die Publikation dieser Beiträge steht unmittelbar bevor.
Informationen zur Nachwuchsgruppe sowie Kontaktmöglichkeiten sind zu finden unter der URL:
www.uni-jena.de/philosophie/histinst/frueheNeuzeit/nachwuchsgruppe

Autorin:
Prof. Dr. Siegrid Westphal
Universität Osnabrück
FB 2 - Kultur- und Geowissenschaften
Geschichte der Frühen Neuzeit
Neuer Graben 19-21
49069 Osnabrück
Siegrid.Westphal@Uni-Osnabrueck.de

Empfohlene Zitierweise:

Siegrid Westphal: Projektvorstellung: Nachwuchsgruppe 'Eigentums- und Besitzrechte von Frauen in der Rechtspraxis des Alten Reiches (1648-1806)' an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 3, [13.12.2004], URL: <Bitte fügen Sie hier aus der Adresszeile des Browsers die aktuelle URL ein.>

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