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  2 (2003), Nr. 2: Inhalt
Abstract
I. Einführung
II. Einige Problembereiche
Anmerkungen
Autor
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Matthias Schnettger

Wohin führt der Weg? Fachzeitschriften im elektronischen Zeitalter [*]

 

Abstract

Der Beitrag geht der Frage nach, ob auch für die Geisteswissenschaften E-Journals einen gangbaren Weg aus der so genannten Zeitschriftenkrise darstellen könnten. In diesem Zusammenhang behandelt er verschiedene Problembereiche: 1. Die Kostenfrage und die Rolle der Verlage; 2. Autorenrechte und die Integrität der gebotenen Information; 3. Qualität versus Aktualität?; 4. Das Problem der Archivierung; 5. Die Nutzer - auch in ihrer Eigenschaft als Autoren; 6. Ausschöpfung neuer Möglichkeiten.
 

I. Einführung

<1>
"Current academic electronic publishing has characteristics of the American West in the second half of the 19th Century. It is romantic, challenging and enticing to the adventurous". [1] So hat Karen Hunter 1998 die gegenwärtigen Bedingungen für elektronisches Publizieren beschrieben. Vielleicht ist die Situation in Wirklichkeit weniger romantisch, als sie es darstellt. Herausforderungen bestehen aber ganz ohne Zweifel. Es soll die Aufgabe des folgenden Beitrags sein, diese Herausforderungen, die Chancen wie die Grenzen von E-Journals, in groben Zügen zu umreißen. Der Text zerfällt in zwei Teile: Nach einer kurzen aktuellen Bestandsaufnahme wird es um sechs Problembereiche gehen, die besondere Beachtung verdienen und die auch bei der Podiumsdiskussion auf dem Historikertag in Halle seinerzeit eine wichtige Rolle spielten.
 
Die Zeitschriftenkrise
<2>
Das Stichwort 'Zeitschriftenkrise' müsste eigentlich jeden in der Wissenschaft Tätigen aufschrecken, betrifft diese Krise doch ein für die wissenschaftliche Kommunikation und Information ganz zentrales Medium. Was verbirgt sich dahinter?
Die so genannte Zeitschriftenkrise ist zunächst einmal eine ökonomische. Stagnierenden oder sogar gekürzten Haushalten der Bibliotheken stehen Preissteigerungen gegenüber, die, insbesondere bei den großen internationalen Verlagen, durchaus 15 bis 20 % pro Jahr erreichen können. Auch wenn die Naturwissenschaften in noch stärkerem Maße von diesem Problem betroffen sind als die Geisteswissenschaften, geht die skizzierte Entwicklung auch an letzteren keineswegs spurlos vorüber.
 
<3>
Die Folgen für Bibliotheken und Nutzer liegen auf der Hand. Wie die Leser oft leidvoll erfahren müssen, werden immer weniger Monographien angeschafft, als 'randständig' empfundene Zeitschriften sogar abbestellt. Nicht nur Spezialisten sind deshalb immer häufiger gezwungen, für ihre Arbeit entweder auf Fernleihsysteme zurückgreifen oder Reisen zu auswärtigen Bibliotheken unternehmen zu müssen - und das häufig auf eigene Kosten.
 
<4>
Radikale Vorschläge zur Bewältigung der Krise fordern die wissenschaftlichen Autoren auf, den Verlagen das Heft aus der Hand zu nehmen und die Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse selbst zu betreiben. Erst damit könne der unhaltbare Zustand beseitigt werden, dass die Produzenten den Verlagen das Material für ihre Zeitschriften (meist) kostenfrei überlassen, um es hernach für teures Geld zurückkaufen zu müssen. Dieser Gedanke wurde von anderer Seite allerdings als naiv abgetan, und in der Tat hat bislang kaum ein renommierter Wissenschaftler den Weg beschritten, seine Manuskripte konsequent den durch die großen Verlage publizierten etablierten Zeitschriften vorzuenthalten, in denen sich die wissenschaftliche Diskussion ja nach wie vor entscheidend abspielt.
 
<5>
Manche Autoren sehen eine Mitverantwortlichkeit für die Zeitschriftenkrise sogar bei den Wissenschaftlern selbst: Ein steigender Druck, immer mehr und immer schneller zu publizieren, die Neugründung zahlreicher, manchmal nur kurzlebiger Spezialzeitschriften und eine Vernachlässigung der Aufgabe der Qualitätskontrolle durch die Herausgeber hätten die Flut der wissenschaftlichen Texte in so unnötiger, ja kontraproduktiver Weise anschwellen lassen, dass die gegenwärtige Krise zumindest teilweise 'hausgemacht' sei.
 
Bieten sich E-Journals als Ausweg aus der Zeitschriftenkrise an?
<6>
Zunächst einmal: Was ist eigentlich ein E-Journal? Verena Letzner nennt folgende Definitionsmerkmale: Ein E-Journal gibt wissenschaftliche Texte und Forschungsergebnisse wieder. Es ist in elektronischer Form zugänglich und erscheint periodisch. Als konstitutiv betrachtet sie im Gegensatz zu anderen Autoren darüber hinaus auch die fachliche Begutachtung der Beiträge durch andere Wissenschaftler, das so genannte 'Peer-Review-Verfahren'. [2]
 
<7>
Innerhalb der E-Journals gilt es vor allem eine grundsätzliche Differenzierung vorzunehmen. Die weitaus überwiegende Mehrheit der E-Journals erscheint bislang parallel zu Print-Zeitschriften. Eine Minderheit stellen dagegen die 'reinen' E-Journals. Keine 'echten' E-Journals sind hingegen Newsletters, Diskussionsgruppen und die vor allem in den Naturwissenschaften üblichen Preprints zur Vorabveröffentlichung neuester Forschungsergebnisse.
 
<8>
Gegenüber gedruckten Zeitschriften bieten E-Journals eine ganze Reihe von Vorteilen für den Benutzer: Er kann direkt von seinem Arbeitsplatz auf sie zugreifen, und das rund um die Uhr. Er kann Texte auf seinen eigenen PC downloaden. Aufgrund des Zusammenschlusses von Bibliothekskonsortien (erwähnt sei die Elektronische Zeitschriftenbibliothek EZB Regensburg) ist eine größere Anzahl von Zeitschriften zugänglich. Neben der höheren Aktualität durch verkürzte Herstellungszeiten sind als weitere Vorzüge der E-Journals gegenüber Printmedien zu nennen die Verlinkung mit anderen Informationsquellen, die Verwendung neuer Recherchemöglichkeiten und der Einsatz multimedialer Elemente (zusätzlich zu Bild und Grafik auch Ton und Video). Auch wird in ganz neuer Weise (etwa durch Angabe von E-Mail-Adressen) die schnelle, interaktive Kommunikation zwischen Wissenschaftlern gefördert. Benutzerfreundlich sind schließlich spezifische Informationsdienste wie Alerting Services mit unter anderem regelmäßiger Zusendung der Inhaltsverzeichnisse bestimmter Zeitschriften.
 
<9>
Nutzer von Zeitschriften sind häufig auch Autoren. Und auch für diese eröffnen die E-Journals neue Perspektiven: Können doch hier beispielsweise Aufsätze veröffentlicht werden, die für eine gedruckte Zeitschrift zu lang, für ein Buch aber zu kurz sind. Doch nicht nur den Nutzern und Autoren, auch den Bibliotheken bieten E-Journals gegenüber Printmedien einige wichtige Vorteile: Neben der Kostenersparnis durch den Wegfall unter anderem der Bindekosten ist vor allem die Raumersparnis anzusprechen, die natürlich auch finanzielle Implikationen hat. Schließlich können E-Journals mit Blick auf den gegen Null tendierenden Papierverbrauch auch als umweltverträglicher betrachtet werden.
 
<10>
Die Diskussion über E-Journals wäre allerdings überflüssig, könnte man gegen diese alternativen Publikationsformen nicht auch eine ganze Reihe mehr oder weniger gravierender Nachteile ins Feld führen. Für den Nutzer negativ ins Gewicht fallen kann nicht zuletzt die Abhängigkeit vom Netz und die dadurch bedingte Störungsanfälligkeit. Das Lesen am Bildschirm ist gewöhnungsbedürftig. Die grafische Qualität und damit auch die Qualität der Ausdrucke lässt oft zu wünschen übrig. Manche Möglichkeiten, die eine Papierversion bietet (zum Beispiel zufälliges Entdecken von Artikeln beim Durchblättern), gibt es bei E-Journals nicht. Von einer Einheitlichkeit der Formate (html, pdf, postscript etc.) ist man noch weit entfernt. Verbunden mit dem Problem der Autorenrechte insbesondere bei reinen E-Journals ist zudem die Frage nach der Authentizität und Integrität der gebotenen Information - das Stichwort heißt hier Copyright. Bezogen auf die reinen E-Journals wird immer wieder auch die Frage nach der Sicherung der Qualitätsstandards gestellt. Ungeklärt ist ebenfalls noch das Problem der Langzeitarchivierung. Gegenwärtig schon von einer 'PostGutenbergGalaxy' zu sprechen [3], erscheint, jedenfalls bezogen auf den Bereich der geisteswissenschaftlichen Fachzeitschriften, in jedem Fall als verfrüht.
 

II. Einige Problembereiche

Die Kostenfrage und die Rolle der Verlage
<11>
Nach den Naturwissenschaften gehen die Verlage neuerdings zunehmend auch in den Geisteswissenschaften dazu über, die Chancen und Herausforderungen des neuen Mediums anzunehmen und etablierte Zeitschriften als E-Journals herauszubringen. Da der Bezug dieser Journale nur zusammen mit der Printversion möglich ist, und zwar gegen einen Aufschlag von 10-30 %, bietet das dem Nutzer einerseits zweifellos zwar Vorteile. Da die Bibliotheken noch zusätzlich durch eine höhere Mehrwertsteuer (16 statt 7 %) belastet werden, lassen sich ihre finanziellen Probleme auf diese Weise jedoch kaum lösen. Zumindest kurz- oder mittelfristig verschärft sich die Zeitschriftenkrise also noch. Paketangebote der Verlage bringen kaum eine Entlastung, zumal darin häufig Zeitschriften enthalten sind, die nicht in das Profil der jeweiligen Bibliothek passen.
 
<12>
Umstritten ist die Frage, ob und inwieweit der Übergang zu reinen E-Journals tatsächlich zu einer Senkung der Kosten führen würde. Während Kritiker der E-Journals errechnet haben, dass die Kosten für die Herstellung der so genannten 'first copy', also der später nur noch vervielfältigten Urversion, in beiden Publikationswegen nahezu identisch seien, weisen die Befürworter darauf hin, dass durch die beim E-Journal entfallenden Aufwendungen für Druck, Papier, Bindung etc. eben doch eine Kostensenkung erreicht wird, die, bezogen auf den einzelnen Nutzer, um so höher ausfällt, je größer die Zahl der Bezieher ist.
 
<13>
Hier stellt sich eine weitere Frage: Wer soll und kann die E-Journals publizieren? Wird man, soll die Produktion in größerem Stil vor sich gehen, das Know-how der Verlage - nicht zuletzt auch in Bezug auf Werbung und Distribution - entbehren können? Viele der reinen E-Journals, wie zum Beispiel die sehepunkte und die zeitenblicke, die auf eine solche Bindung an Verlage verzichtet haben, leben bislang zwar zum großen Teil vom - meist unbezahlten - Engagement der Herausgeber, Redakteure, Rezensenten bzw. Autoren und wissenschaftlichen Beiräte. Kostenfrei ist ihre Produktion aber natürlich keineswegs, denkt man etwa an die Anschubfinanzierung der Deutschen Forschungsgemeinschaft etwa für die sehepunkte. Da eine solche Förderung befristet ist, stellt sich die Frage, was zu tun sein wird, wenn diese ausgelaufen ist: Sollten sich dann Universitäten und sonstige Forschungsinstitutionen noch stärker engagieren? Oder wird man doch wieder auf eine Kooperation mit Verlagen zurückgreifen müssen? Wird es in Zukunft vermehrt zur Entwicklung spezieller nichtkommerzieller Internetverlage kommen (ein bereits existierendes Beispiel ist die hochschuleigene Kassel University Press)? Ist das Modell eines kostenfreien E-Journals überhaupt dauerhaft denkbar? Oder wird man dem Nutzer zumindest eine Kostenbeteiligung - etwa in Form einer mehr oder weniger moderaten Subskriptionsgebühr - zumuten können und sollen ?
 
Website der 'Kassel University Press'
 
<14>
Hier schließt gleich noch eine weitere Frage an: Wie sollen sich die Bibliotheken verhalten? Können und sollen sie die Mehrkosten, die die (kommerziellen) E-Journals für sie bedeuten und die sie aus eigener Kraft nicht tragen können, an die Benutzer weitergeben? Manches spricht für eine Zweistufen-Lösung, bei der die kostenfreie wissenschaftliche 'Grundversorgung' insbesondere für Studierende zwar sichergestellt wird, bei der diejenigen Forscher, die speziellere Zeitschriftenartikel für ihre eigene Forschung benötigen, hingegen im Zuge eines 'Pay-per-use-Verfahrens' in die eigene Tasche greifen müssen - ähnlich wie das ja heute schon für die durch das Fernleihsystem bereitgestellte Literatur der Fall ist. Auch seitens des deutschen Wissenschaftsrats vertritt man im Prinzip diese Position. Dort ist man allerdings der Auffassung, dass es nicht um eine Vollkostenerstattung gehen könne. Vielmehr soll von den Gebühren "eine positive Lenkungswirkung ausgehen, um die Nutzer zu einem rationellen Umgang mit digitalen Publikationen anzuhalten". [4]
 
<15>
Die Einführung von Gebühren birgt aber auch Probleme mit sich: So könnte die Hemmschwelle, sich mit den Inhalten von Spezialzeitschriften zu beschäftigen, in dem Maß steigen, wie dies mit Kosten verbunden wäre. Dies könnte eine unerwünschte stärkere Vereinzelung der einzelnen Spezialdisziplinen innerhalb der Geschichtswissenschaft zur Folge haben. Andererseits könnte das elektronische Publizieren aber mit dazu beitragen, dass die Zeitschriftenkrise nicht, gemäß der Darwin'schen Evolutionstheorie, zu einem 'survival of the fittest', sondern, nach derselben Theorie, zur Ausbildung zahlreicher ökologischer Nischen führt, die die Fortexistenz auch hoch spezialisierter Periodika sichern.
 
Autorenrechte und die Integrität der gebotenen Information
<16>
Mehr noch als in den Naturwissenschaften zeigen sich in den Geisteswissenschaften die meisten Autoren sehr zurückhaltend gegenüber einer Publikation ihrer Forschungsergebnisse auf elektronischem Weg. Abgesehen davon, dass sich bislang kein E-Journal an Ansehen mit den großen etablierten Printzeitschriften messen könnte, spielt insbesondere die Frage des Copyrights eine entscheidende Rolle. Und hier ist in der Tat noch eine ganze Reihe von Fragen ungeklärt. So will sich die EU fünf Jahre Zeit nehmen, bevor sie entsprechende Festlegungen treffen will. Nur am Rande sei erwähnt, dass Autoren durch ihr Copyright natürlich auch einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Zeitschriftenlandschaft nehmen können. Denkbar ist, dass sich hier in den kommenden Jahren eine Diversifizierung etwa in der Weise abzeichnet, dass Autoren ihre Rechte nicht pauschal vergeben, sondern sich neben einer gedruckten (Erst-)Publikation eine zusätzliche Veröffentlichung im Internet vorbehalten.
 
<17>
Die Frage des Copyrights hat aber nicht nur eine Autoren-, sondern auch eine Nutzerseite: Wie sicher kann man sich der Integrität der angebotenen Information sein? Ganz abgesehen einmal von dem gravierenden Problem, das sich mit der Aneignung und Manipulation von Texten im Internet nach wie vor stellt, könnten die Autoren selbst ihre eigenen Texte ja - zumindest theoretisch - immer weiter bearbeiten und verändern. Das hätte natürlich gravierende Auswirkungen auf unsere Zitiergewohnheiten.
 
<18>
Manche E-Journals, zum Beispiel die sehepunkte, suchen sich gegen die Gefährdungen des Copyrights auf traditionelle Weise durch eine eigene ISSN und durch die Beibehaltung der Struktur von Jahrgängen und Einzelnummern zu sichern: Gegen dieses Verfahren wenden Kritiker freilich ein, dass mit dem Festhalten an abgeschlossenen Texten einige der reizvollsten Möglichkeiten des neuen Mediums verschenkt würden. Von anderer Seite wird zudem darauf hingewiesen, dass sich die Begriffe von geistigem Eigentum im Zeitalter des Internets notwendigerweise ändern werden. Das Copyright wird gelegentlich als ein Gesellschaftsvertrag betrachtet, der sich in der Weise, wie sich die allgemeinen Rahmenbedingungen wandeln, auch seinerseits ändern könne. Auch der Wissenschaftsrat spricht sich für eine "differenzierte Betrachtung des Urheber- und Verwertungsrechtes für digitale Publikationen" aus. [5] Festzuhalten bleibt aber, dass für die meisten Autoren wissenschaftlicher Texte ihre Urheberschaft, über die sich nicht zuletzt ja auch ihre Position in der modernen 'République des lettres' definiert, klar erkennbar bleiben muss.
 
Qualität versus Aktualität?
<19>
Dass E-Journals schneller produziert werden können als gedruckte Zeitschriften, kann als sicher gelten. Wie groß hingegen diese Zeitersparnis ist, ist - ähnlich wie bei der Kostenfrage - umstritten. Wird doch oft angeführt, dass der eigentliche Druck und das Binden sehr viel weniger Zeit in Anspruch nehme als die gründliche Vorbereitung der Manuskripte auf den Druck. Mal implizit, mal auch durchaus explizit wird in diesem Zusammenhang oft der Verdacht laut, E-Journals erkauften ihre größere Aktualität mit einem Verzicht auf Qualität. Insbesondere wird hier auf das so genannte 'Peer-Review-Verfahren' verwiesen, gemäß dem einer Zeitschrift angebotene Manuskripte zunächst ein strenges Begutachtungsverfahren durch Herausgeber, Redakteure, Lektoren und/oder wissenschaftliche Beiräte durchlaufen müssen, bevor sie zur Veröffentlichung angenommen werden. Dass ein Manuskript akzeptiert wird, ist keineswegs selbstverständlich. Ablehnungen sind ebenso möglich wie mehr oder weniger große Auflagen an die Autoren.
 
<20>
Zu fragen ist aber, ob das 'Peer-Review-Verfahren' notwendigerweise an das Medium der Printzeitschrift gebunden ist oder ob es nicht ebenso gut - und bei optimaler Nutzung der Möglichkeiten des Internets womöglich sogar noch effektiver - auch bei der Produktion von E-Journals angewendet werden kann. Wenn nicht auch seitens der Herausgeber von E-Journals strikt auf die Einhaltung bestimmter Qualitätsmaßstäbe geachtet würde, bestünde in der Tat die Gefahr, dass der einzelne Wissenschaftler, der eine noch größere Flut wissenschaftlicher Texte auf sich einströmen sehen würde, sich genötigt fühlte, durch eine in mühsamer Eigenregie vorgenommene Filterung eigene Dämme dagegen zu errichten. Der Akzeptanz von E-Journals in den Geisteswissenschaften käme dies zweifellos nicht zugute.
 
Das Problem der Archivierung
<21>
Bislang galt das Prinzip, dass die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung zeitlich unbegrenzt zur Verfügung zu halten seien. Dieses Ziel ließ sich mithilfe des Mediums Papier grundsätzlich erreichen, auch wenn man gelegentlich flankierende Maßnahmen wie Mikroverfilmungen etc. einsetzen musste.
 
<22>
Etwas anders stellt sich das Problem hinsichtlich der E-Journals. Bei denjenigen, die parallel zu Druckausgaben erscheinen, ist wie bisher eine Archivierung der Printversion denkbar. Man könnte natürlich theoretisch auch reine E-Journals ausdrucken. Allerdings ist die Dauerhaftigkeit von Papier begrenzt. Überdies fiele so ein Vorteil der E-Journals für die Bibliotheken, die Platzersparnis, weg. Verloren gingen aber auch diejenigen Informationen, die mittels eines Ausdrucks nicht zu erfassen wären, wie Links, multimediale Elemente etc. Ähnliches würde auch für eine Archivierung auf Mikrofilm gelten. Die Frage der Dauerhaftigkeit ist auch für CD-ROMs nicht abschließend geklärt, die allerdings die Möglichkeit böten, die über den reinen Text hinausgehenden Informationen zu erhalten. In mancher Hinsicht wäre es sicher eine ideale Lösung, wenn E-Journals mittels des Mediums, für das sie eigentlich konzipiert sind, nämlich elektronisch, erhalten werden könnten. Angesichts der rasanten Entwicklungen im Hard- und Softwarebereich lässt sich jedoch nicht sicher sagen, ob die heute aktuellen E-Journals in ein paar Jahren noch verwendbar sein werden. Erforderlich wird in jedem Fall die Anpassung an neue Formate sein, mithin ein erheblicher technischer Aufwand mit möglicherweise erheblichen finanziellen Folgen.
 
<23>
Das bringt uns zu einer zweiten Frage: Wer soll - und kann - die Aufgabe der Archivierung übernehmen? Die Autoren bzw. deren Trägerinstitutionen? Die Verlage - was eine andauernde Abhängigkeit der Bibliotheken und Nutzer von diesen zur Folge hätte? Sollten die einzelnen Bibliotheken selbst in die Bresche springen? Könnte sich hier ein Markt für spezielle kommerzielle Anbieter auftun? Oder wäre die Archivierung am besten durch eine nationale oder internationale Kooperation mit dem Ziel des Aufbaus fachspezifischer Archive zu gewährleisten? Erste Erfahrungen auf diesem Gebiet sind bereits gesammelt worden. So hielt JSTOR, eine amerikanische Non-Profit-Organisation, in ihrer Arts & Science-Collection im Jahr 2001 117 Zeitschriften mit etwa 7.700 Bänden zur elektronischen Verfügung, ihr Präsident Kevin M. Guthrie vertritt die Auffassung, dass sich durch elektronische Archivierung eine beachtliche Kostensenkung erreichen lasse. Allerdings erfordere dies ein Umdenken bei den Bibliotheken. [6]
 
Website von 'Journal Storage' (JSTOR)
 
Die Nutzer - auch in ihrer Eigenschaft als Autoren
<24>
E-Journals stellen an den Nutzer neue Anforderungen. Diese betreffen schon den physischen Vorgang des Lesens. Forschungen haben ergeben, dass die meisten Nutzer Texte am Bildschirm wesentlich langsamer lesen, als wenn sie gedruckt vorliegen. Oft wird - insbesondere bei langen Texten - der Ausweg beschritten, mittels eines Ausdrucks seine eigene Papierversion herzustellen. Andere Untersuchungen lassen allerdings erkennen, dass regelmäßige Internetnutzer besondere Lesetechniken entwickeln, die dem neuen Medium angepasst sind. Außerdem ist es möglich, durch das entsprechende Design, wie Einheitlichkeit der Typographie, Kontrastierung von Schrift und Hintergrund, aufgelockerte Textplatzierung etc., das Lesen am Bildschirm zu erleichtern. Ob es wünschenswert erscheint, netzspezifische Stilelemente, wie kurze Sätze und Absätze und so genannte 'Teasertexte', auch für wissenschaftliche Publikationen zu übernehmen, wäre zu hinterfragen. Die Bereitschaft, die Möglichkeiten der Interaktivität auszunutzen, den Status des anonymen Readers aufzugeben und als 'Wreader' [7] zum aktiven Mitgestalter zu werden, erscheint bei den Nutzern noch gering ausgeprägt.
 
<25>
Umfragen (zum Beispiel des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in den Jahren 1998 und 1999) zeigen, dass in den Geisteswissenschaften der Anteil derjenigen, die E-Journals nicht nutzen, immer noch hoch ist, allerdings mit abnehmender Tendenz. Ein großer Bedarf an Einführungs- und Informationsveranstaltungen ist unübersehbar, und das gilt nicht nur - aber auch - für Studienanfänger. Der Informationsbedarf bezieht sich hier zunächst einmal überhaupt auf die Notwendigkeit, auf die Existenz von E-Journals hinzuweisen, sie also beispielsweise in Proseminaren und Einführungskursen in die Geschichtswissenschaft den Studienanfängern vorzustellen. Wichtig wäre aber auch, den wissenschaftlichen Einsatz des Mediums Internet mehr zum Gegenstand der Lehre zu machen, was natürlich auch für die Lehrenden neue Herausforderungen bedeuten würde.
 
Tutorial 'Historische Fachinformationen mit elektronsichen Medien'
 
<26>
Insgesamt scheint die Bereitschaft, sich mit dem Thema elektronische Zeitschriften auseinander zu setzen, bei Bibliothekaren höher zu sein als bei Wissenschaftlern und Verlagsvertretern. So musste beispielsweise die Schweizerin Alice Keller, die eine Delphi-Studie zu diesem Thema durchführte, die Erfahrung machen, dass sich alle Bibliothekare, die sie für den Aufbau einer Expertengruppe ansprach, zur Mitarbeit bereit erklärten, während dies bei den Wissenschaftlern und Verlagsvertretern nicht der Fall war. [8] Diesem Befund entspricht auch die Tatsache, dass die Bereitschaft, eigene Texte in E-Journals zu veröffentlichen, nichts besonders groß ist, und das nicht nur bezogen auf die etablierten Vertreter der Zunft. Immer noch gilt auch bei der Gruppe der 'Nachwuchswissenschaftler' die Publikation in einer gedruckten Zeitschrift als prestigeträchtiger. Möglicherweise wird sich diese Einstellung ändern, wenn sich erst einmal renommierte E-Journals für die Geschichtswissenschaften etabliert haben.
 
Ausschöpfung neuer Möglichkeiten
<27>
Nach wie vor werfen Kritiker den E-Journals vor, die Möglichkeiten des neuen Mediums nicht - oder nur in unzureichendem Maße - zu nutzen und sich noch allzu stark an dem Vorbild der gedruckten Zeitschriften zu orientieren. Dies lasse sich etwa an der Struktur festmachen: Die Beibehaltung von Jahrgangszählung und Einzelnummern verspiele beispielsweise einen Vorteil der E-Journals zumindest teilweise: die Schnelligkeit. Daher wäre es eigentlich "nur folgerichtig, auf Artikel als Einheiten umzustellen, diese durch Nummern zu identifizieren und über jede Neuaufnahme Interessenten über E-Mail zu informieren". [9] Warum nicht die Informationen, wie bei einer Mailingliste, sofort ins Netz stellen, wenn sie vorliegen? Damit entfalle dann auch "der Zwang, in bestimmten Zeitintervallen einen bestimmten Seitenumfang zu füllen", und es gebe "keine Umfangsbegrenzung mehr". Schließlich werde "eine einheitliche (artikelübergreifende) Einrichtung und typographische Gestaltung" obsolet. [10] Inwieweit kann das allerdings erwünscht sein?
 
<28>
Aber auch nach den Inhalten wird gefragt: Wäre es nicht sinnvoll und erstrebenswert, wenn sich die E-Journals endlich von ihrem Vorbild, den gedruckten Zeitschriften, lösen würden? Wenn sie, statt wie bisher mehr oder weniger herkömmliche, eventuell um ein paar Bilder oder Graphiken bereicherte Artikel zu publizieren, neue Wege beschritten? Wenn sie moderne technische Optionen (Video etc.) künftig stärker einbinden würden? Oder auch mit neuen Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Autor und Lesern, denen theoretisch Mitgestaltungsmöglichkeiten eingeräumt werden könnten, experimentieren würden?
 
<29>
Sicherlich wird die künftige Rolle und Funktion der E-Journals in den einzelnen Wissenschaftszweigen eine unterschiedliche sein. Möglicherweise werden die Naturwissenschaften, bei denen angesichts der rasanten Fortschritte der Forschung der Faktor Aktualität eine ganz andere Dimension besitzt als in den Geisteswissenschaften, ihren Vorsprung weiter behalten. Es wird sich aber lohnen, ernsthaft darüber nachdenken, ob es nicht auch im Bereich der Geschichtswissenschaften Aufgaben gibt, die die E-Journals ebenso gut oder besser als gedruckte Zeitschriften wahrnehmen können, seien dies traditionelle Aufgaben - wie Rezensionen - oder neu zu definierende. Inwieweit es durch das neue Medium im Bereich der Geschichtswissenschaft zu einer tief greifenden Veränderung der wissenschaftlichen Textsorten und etwa zur Ausbildung einer 'echten' digitalen Literatur - das heißt einer Literatur, die die digitalen Medien als notwendige Existenzgrundlage braucht (zum Beispiel in Bezug auf Interaktivität oder Intermedialität) - kommen wird, ist heute noch nicht klar abzusehen. Und stärker noch als in den Naturwissenschaften stellt sich trotz allem für die Geisteswissenschaften nach wie vor die Frage, ob es sinnvoll und wünschenswert ist, die traditionelle Form des geschlossenen Textes zugunsten einer Autoren-Leser-Interaktivität um jeden Preis aufzulösen.
 
<30>
Dennoch scheint es wichtig, sich neuen Entwicklungen nicht zu verweigern, sondern sie aktiv mit zu beeinflussen und sinnvolle Möglichkeiten aktiv auszuloten. Wünschenswert wäre, dass die gesamte Zunft sich den neuen Möglichkeiten öffnete und damit auch ein Kommunikationsverlust zwischen Nutzern der neuen Medien und Nichtnutzern vermieden würde.
 

Anmerkungen:

[*] Dieser Beitrag stellt die nur leicht bearbeitete Fassung eines Statements dar, das als Einführung zur gleichnamigen Podiumsdiskussion am 13. September 2002 im Rahmen des 44. Deutschen Historikertags in Halle abgegeben wurde. Der Anmerkungsapparat beschränkt sich im Wesentlichen auf den Nachweis von Zitaten.
[1] Karen Hunter: Electronic Journal Publishing. Observations from Inside, in: D-Lib Magazine July / August 1998 (http://www.dlib.org/dlib/july98/07hunter.html) [28.06.2002].
[2]
Verena Letzner: Das zunehmende Angebot elektronischer Zeitschriften in wissenschaftlichen Spezialbibliotheken. Auswirkungen auf die Arbeitsvorgänge (= Berliner Handreichungen zur Bibliothekswissenschaft 90), Berlin 2000, 2.
[3] Stevan Harnad: The Postgutenberg Galaxy: How to get there from here (http://www.ecs.soton.ac.uk/~harnad/THES/thes.html) [28.06.2002].
[4] Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur digitalen Informationsversorgung durch Hochschulbibliotheken, Greifswald 2001, 44.
[5] Ebd., 50.
[6] Kevin M. Guthrie: Archiving in the Digital Age. There's a Will, But Is There a Way, in: Educause Review November / December 2001, 57-65.
[7] Roberto Simanowski: Einige Vorschläge und Fragen zur Betrachtung digitaler Literatur, in: Georg Jäger / Roberto Simanowski (Leitung): IASL Diskussionsforum online. Netzkommunikation in ihren Folgen (http://iasl.uni-muenchen.de/discuss/lisforen/siman.htm) [28.06.2002].
[8] Alice Keller: Elektronische Zeitschriften im Wandel: eine Delphi-Studie (= Bibliotheksarbeit 10), Wiesbaden 2001.
[9] Georg Jäger: Vom Text der Wissenschaft. Überlegungen zum Wandel des Textbegriffs im Rahmen vernetzter EDV-Kommunikation, in: Uwe Jochum / Gerhard Wagner (Hg.): Am Ende – das Buch. Semiotische und soziale Aspekte des Internet, Konstanz 1998, 55-81. Verwendet die Ausgabe in: http://www.klostermann.de/verlegen/jaege_10.htm [28.06.2002]. Zitat Abschnitt 5.
[10] Ebd.
 

Autor

Dr. Matthias Schnettger
Institut für Europäische Geschichte, Abteilung für Universalgeschichte
Alte Universitätsstraße 19
55116 Mainz
schnettger@inst-euro-history.uni-mainz.de
www.inst-euro-history.uni-mainz.de

 

Anmerkung der Redaktion:

Wenn nicht anders vermerkt, gilt als Referenz-Datum für Inhalt und Funktionalität aller im Text genannter Links der 17.10.2003.

Empfohlene Zitierweise:

Matthias Schnettger: Wohin führt der Weg? Fachzeitschriften im elektronischen Zeitalter, in: zeitenblicke 2 (2003), Nr. 2 [22.10.2003], URL: <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2003/02/schnettger.html>

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ZEITENBLICKE ISSN: 1619-0459