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1 (2002), Nr. 2: Inhalt
Abstract
Das Interesse der Forschung
Der Biograph
Rückbesinnung oder Antizipation?
Materielle Aspekte der Handschrift
Selbstbezug und Zeitbezug
Anmerkungen
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Auszüge aus Hans Heberles "Zeytregister"
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Stephan Laux

"Etwas gross" aufschreiben
Quellenkritische Anmerkungen zum "Zeytregister" des Ulmer Chronisten Hans Heberle (1597-1677)

Abstract      

Das "Zeytregister" des Ulmer Bauern und Landhandwerkers Hans Heberle ist in seiner Art eine einzigartige Hinterlassenschaft eines bäuerlichern Schriftstellers des 17. Jahrhunderts. Der Gesichtskreis Heberles geht weit über den engen Horizont der Wirtschaftsführung hinaus, indem er persönliche Erfahrungen mit der Schilderung der Kriegsereignisse seiner Zeit verbindet. Unter Berücksichtigung von Schreibintention und -praxis relativieren sich indes die Möglichkeiten einer persönlichkeitsnahen Ausschöpfung der Quelle im Sinne eines 'Ego-Dokuments'. So sind den im wesentlichen auf Geburt und Tod beschränkten Notaten über die eigene Familie, über persönliche Erlebnisse und Beobachtungen aus näherer Anschauung durch die absorbierende Kriegsschilderung Grenzen auferlegt. Die selektive Auswahl der Themenpunkte und das weitestgehende Zurücktreten affektiver Momente erklärt sich auch durch die technische Verfahrensweise Heberles, der nach Ausweis inhaltlicher und formaler Aspekte der Handschrift in deutlichem zeitlichem Ereignisabstand an seiner Chronik arbeitete.

Das Interesse der Forschung

<1>
Im Zeichen eines gewachsenen Interesses an persönlichen historischen Zeugnissen im Allgemeinen und an lebensnahen Darstellungen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges im Besonderen ist das "Zeytregister" des Ulmer Bauern und Schuhmachers Hans Heberle (1597-1677) eine Quelle ersten Ranges. Deren Wertschätzung wie auch die anderer erfahrungsbasierter Schilderungen dieser Zeit ist offenkundig in dem Maße gestiegen, in dem die geschichtswissenschaftliche Forschung den Quellenwert von Grimmelshausens "Simplicissimus" stark relativiert beziehungsweise verworfen hat, der der Zunft (wie auch dem öffentlichen Bewusstsein) im 19. Jahrhundert noch als Kronzeuge für 'die Realität' des Krieges gegolten hatte [1].

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Die ganz besondere Gunst des modernen Lesers [2] aber erwirbt sich die "Ausnahmeerscheinung" Hans Heberle - so sein Biograph und Herausgeber Gerd Zillhardt [3] - weniger durch seine relative Ereignisnähe, als dadurch, dass er einer der wenigen Bauern bzw. 'kleinen Leute' war, die überhaupt eigenhändig Erfahrungen zu Papier brachten und über sich und ihre Zeit Zeugnis gaben. Anders als in vielen, wie auch immer gattungsmäßig zu qualifizierenden Berichten aus der Zeit des Krieges blieb er weder (etwa durch die Konzentration auf Preise, Ernteerträge oder Wetterverhältnisse) eng auf den Horizont des bäuerlichen Wirtschaftens beschränkt [4], noch verlegte er sich ausschließlich auf politische Ereignisse. Heberle nahm seine Eintragungen fortlaufend und zeitlich umfassend vor (von 1618 bis 1650, dann in kürzeren Jahreseinträgen bis 1672) und hinterließ am Ende seines Lebens eine umfangreiche Handschrift (184 Blätter Oktav), die glücklicherweise vollständig überliefert und nicht zuletzt auch in einer adäquaten Edition zugänglich ist [5].

<3>
Wollte der Herausgeber und Kommentator der Handschrift mit seiner Arbeit 1975 noch "ein[en] Beitrag zu Geschichtsschreibung und Geschichtsverständnis der Unterschichten" leisten (so im Untertitel) und somit die Quelle in einer zeitgemäßen sozialgeschichtlichen Perspektive diskutieren, so dominieren heute andere Problemstellungen: Die unterschiedlichen methodischen Ansätze und Erkenntnisinteressen zwischen historischer Anthropologie und kulturalistisch neu orientierter historischer Sozialwissenschaft begegnen einander in der Bemühung um die Annäherung an das historische Subjekt mit dem Ziel, ihm idealiter in all seinen mentalen und lebenspraktischen Vollzügen nachzufolgen. Diese Zielvorgabe historischer Forschung, die im dezidierten Gegensatz zur "Sozialgeschichte der Väter" [6] einst bahnbrechend wirkte, ist seit einiger Zeit nicht nur Konsens, sondern methodische wie forschungspolitische Konvention.

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Mit der Behandlung des "Zeytregisters" unter dem Thema "Autobiographie - Selbstzeugnis - Ego-Dokument" deutet sich bereits eine Konsequenz der Selbstzeugnisforschung im Allgemeinen an: Im Zuge eines offenkundig drängenden Erkenntnisinteresses, das gar dazu verleiten mag, die Dignität der Quelle a priori von ihrem Gehalt an selbstreflektiver beziehungsweise -dokumentativer Substanz abhängig zu machen, fragt man nicht in erster Linie nach der Aussagekraft der Quelle unter spezifischen Fragestellungen - also in einem operativen Sinne -, sondern nach ihrem Charakter als Ego-Dokument (oder ähnlich). Jegliche Klassifizierung im breiten Gattungsspektrum zwischen "Darstellungsbuch" [7] und "Selbstzeugnis" [8] birgt aber natürlich eine Hypothese über die Sinnhaftigkeit der Quelle beziehungsweise die 'Objektivität' ihres Schöpfergeistes [9]. Um diesem hermeneutischen Dilemma zu entgehen, soll hier die anhand einer Einzelschrift ohnehin nicht diskutierbare Gattungsfrage zurückgestellt, statt dessen das "Zeytregister" primär in seiner immanenten Erscheinungsform betrachtet werden. Unter Berücksichtigung des Themas dieses Bandes wollen die folgenden Darlegungen weniger die konkreten Erträge als die Möglichkeiten einer 'ego-zentrierten' Interpretation erörtern. Zu diesem Zweck sollen unter Berücksichtigung des handschriftlichen Originals einige Schlaglichter auf die Intention, die schreibtechnische Verfahrensweise und, abschließend, auf die schriftstellerische Perspektive des Chronisten Heberle geworfen werden, zu dessen Werk seit der Edition von 1975 erstaunlicherweise keine systematischen Fragestellungen mehr entwickelt worden sind.

Der Biograph

<5>
Einige knappe biographische Informationen zu Hans Heberle seien vorweg gegeben [10]. Heberle wurde 1597 in Neenstetten auf der Schwäbischen Alb nördlich von Ulm geboren. Er war das dritte Kind seines gleichnamigen Vaters und seiner Mutter Dorothea, geborene Wieland. Seine Mutter starb 1601, sein Vater 1635. Hans hatte zwei leibliche Geschwister, aus der früheren Ehe der Mutter drei, aus späteren Ehen des Vaters weitere neun Stiefgeschwister. 1627 heiratete er und zog ins nahegelegene Weidenstetten, wo er ein kleines, wenig später vergrößertes Gut erwarb. Nach dem Tod des Vaters übernahm er 1635 dessen Haus und verkaufte bald darauf den Weidenstetter Besitz.

<6>

Aus der Ehe von Hans und Anna gingen zehn Kinder hervor, doch starben sieben von ihnen bereits im Kindesalter. Über die überlebenden Kinder, die Töchter Barbara (1632-1666), Anna (1640-?) und das jüngste Kind, Hans (1646- um 1705), lebte die Familie fort. Hans starb am 17. Februar 1677, seine Frau zu unbekanntem späteren Zeitpunkt. Hinsichtlich seiner sozialen und rechtlichen Stellung war Hans Heberle in zweifacher Hinsicht unterprivilegiert: Als Seldner (Häusler) [11] gehörte er einer in Württemberg über weite Strecken vorherrschenden unterbäuerlichen Schicht an, die ihren Lebensunterhalt typischerweise nicht allein aus landwirtschaftlicher Arbeit bestritt, sondern auf handwerkliche Nebenerwerbstätigkeiten angewiesen war. So ging Heberle wie sein Vater und später sein Sohn Hans dem Schuhmacherhandwerk nach [12]. Als Landesuntertan extra muros unterlag er in vielfacher Weise den quasi-feudalen Gerechtsamen der Reichsstadt Ulm [13].

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Vergleicht man, wie - wenn überhaupt - wenige substanzielle Reflexionen der jeweiligen Schreibintention sich in popularen Schriftzeugnissen bis zumindest zum 17. Jahrhundert finden [14], informiert Hans Heberle in seinem "Zeytregister", das er auf dem Vorderblatt auch als ein "denckhbüechlein von mancherley historia und glaubwürdigen sachen" [15] bezeichnet, noch recht großzügig. In der Vorrede demonstriert er in seiner Rolle als Chronist gleich eingangs ein bemerkenswertes Selbstbewusstsein: Viele Leute äußern sich über Dinge, die sie "tags lebens nie gesehen oder gehert" haben und müssen sich dafür verantworten. Angesichts dieser Aussage nimmt sich sein Vorhaben, er selbst wolle "nicht vüll umbstendt machen, sondern nur ein wenig uber suma und verzeichne [!], was ich für gewiß und wahrhaffte höere und auch selbst mit meine augen und ohren gesehen und gehert habe" weniger als Bescheidenheitsbezeugung, denn als Anspruch aus, abgesicherte, authentische Informationen zu geben. Und er fährt fort: "Auch darneben, was ich selbs erfahren und erlebet hab, das selbig wil ich kürtzlich beschreiben von jar zu jar, was sich einen jeden tag, monet und ein jedes jar verloffen und zugetragen hat, von meinem geschlecht und stamen, eltern und freündschaft, schwestern und brüeder, wan sie geboren und wider gestorben. Auch von guten und bessen jaren, von theüre und wolffeil zeiten, von krieg und kriegszeiten, pestelentz und krankcheiten, auch andere sachen mehr, was sich begeben und zugetragen wirdt, so lang mir Gott gesundtheit und das leben gibt." [16]

<8>
Im anschließenden Passus empfiehlt Heberle sein "büechlein" seinen direkten Nachkommen und folgenden Generationen, auf dass sie es "von meinetwegen fleißig behalten und auffheben, von wegen der freundschafft und denen hiestorien, die hierin verzeichnet und beschriben sindt". Für die nahe liegende Vermutung, die nun folgende Darstellung reihe sich ein in das zeitgenössische Genre der Hausväterliteratur, bieten sich indes keine Anhaltspunkte: Wohlfeile Ratschläge zur maßvollen Lebens- und Haushaltsführung, über Ehe und Familie und natürlich über die Rolle des Hausvorstandes, sucht man vergebens. Gegenstand seiner einzigen Ermahnung an seine Nachkommen ist es bloß, das Buch weiterzureichen und gut darauf aufzupassen. So scheint ihm das Schreiben weniger ein kommunikativer Akt als ein Zweck in sich selbst gewesen zu sein: "Ursach und anlaß" zum Schreiben fand Heberle nämlich nach eigenem Bekunden im Erscheinen des (beziehungsweise der) Kometen des Herbsts 1618 [17], "der mich bewegt in meinem gemüet, das ich anfang zu schreiben, weil mich bedünckht, er werden etwas gross bedeüten und mit sich bringen, wie dan solches geschehen ist, wie der lesser hierin gnug bericht finden wirdt" [18].

Rückbesinnung oder Antizipation?

<9>
In der Erwartung bedeutender Ereignisse - sei es auf der Reichsebene, sei es in Bezug auf die eigene Person - zeigt sich Heberle von Anfang an sehr gewiss. Diese Gewissheit erscheint allerdings größer, als sie es plausiblerweise hätte sein können, hätte er nur, wie Zillhardt annimmt, ab 1618 ereignisnahe Aufzeichnungen gemacht [19]. Die Frage, wann - respektive: ab wann und wann jeweils - Heberle an seinem "Zeytregister" arbeitete, ist freilich zentral für die Gesamteinschätzung der Quelle.

<10>

Die Bedeutung der frühesten Kriegsereignisse kann Heberle 1618 kaum klar gewesen sein, zumindest nicht in dem Maße, dass es die Anfertigung umfassender und systematischer Aufzeichnungen plausibel macht. Erst wenige Monate vor der Schlacht am Weißen Berg (8. November 1620) kam es für die protestantischen Territorien und Städte und deren Einwohner zu spürbaren Konsequenzen. Die Stadt Ulm prägte seit Oktober 1620 eigenmächtig Münzen und ergriff Verteidigungsmaßnahmen. Mit der sogenannten 'Kipper- und Wipperzeit' sah sich der Chronist dann zwar auch persönlich konfrontiert, und von nun an werden die durch Münzwerte, Preise und Wetterangaben ergänzten Jahreseintragungen länger. Den "jamer", den er im Zuge der Münzverschlechterung beklagt [20], mag er wirklich empfunden haben, aber "etwas gross" war dies wohl eher nicht. Bezeichnenderweise hat Heberle diese Eintragung Jahre später nachgetragen [21]. Die Geldentwertung war denn auch die erste, zumindest mittelbare Einwirkung der Ereignisse auf die Lebenskreise des Chronisten. Erste Erfahrungen mit marodierenden Soldaten machte er im März 1625. Zu Beginn des Jahres 1628 schreibt er, dass sich "aller erst die noth [...] erhebt" habe [22]: Es folgte die Entwaffnung der stadtulmischen Dörfer durch den Ulmer Rat, die Einquartierung (feindlicher) kaiserlicher Truppen und deren missglückter Versuch zur Einnahme der Reichsstadt. Zur fundamentalen Bedrohung des evangelischen Glaubens sollte sich das Restitutionsedikt des Jahres 1629 entwickeln, das für Heberle auch nicht mehr Thema der "kriegshistoria", sondern Ereignisgeschichte in nächster Umgebung ist [23]. Im Frühsommer 1631 sah sich Heberle schließlich zur ersten von insgesamt 30 Fluchten mit Frau und Familie vom Wohnort gezwungen [24]. Eine katastrophale Wendung nahm das Kriegsgeschehen für die Stadt Ulm wie auch persönlich für den Chronisten im Gefolge der für die Ligatruppen erfolgreichen Schlacht bei Nördlingen im September 1634. Wenig später brach zudem in Ulm die Pest aus. In den 14 Monaten seit September 1634 verlor Heberle durch Krankheit oder physische Auszehrung seinen Vater, vier Kinder, seine Stiefmutter und fünf Stiefgeschwister.

<11>
Die somit aufgrund des historischen Kontextes angedeutete Skepsis gegenüber der Annahme eines kontinuierlichen und ereignisnahen Schreibprozesses verstärkt sich bei näherer Betrachtung von Aussagedetails. Zunächst liegt im "Zeytregister" offen zu Tage, dass sein Verfasser durchgängig über abgeschlossene Ereignisse berichtet, über deren Ausgang er er sich also stets schon im Klaren war. Bezeichnenderweise drückt er nie Ungewissheit, geschweige denn die konkrete Hoffnung auf eine glückliche Wendung banger Situationen aus (etwa bei Krankheiten, Einquartierungen, soldatischen Übergriffen et cetera) [25]. Die sprachliche und inhaltliche Logik zahlreicher Stellen bezeugt denn auch, dass Heberle sie erst nach Verstreichen mehrerer Monate niedergeschrieben haben kann [26]. Doch bei Monaten kann es nicht geblieben sein. An einigen Stellen gelingt es ihm wundersamerweise, auf Jahre vorauszublicken: Zu Beginn des Jahres 1618 erkennt er in den Kometen von 1618 und 1619 schicksalhafte Vorboten für das schwere dritte Jahrzehnt ("wie wir leider das selbig woll erfahren und erfahren haben") [27], gegen Anfang 1628 weiß er schon vom künftig dreijährigen Verbleib bayerischer Reiter zu berichten [28], und das Jahr 1634 nennt er gleich in der ersten Zeile ein "betrüebtes" [29]. Seine fünfte Flucht nach Ulm im Juni 1635 bezeichnet er als die "alersäuriste reiß [...] von meiner jugendt bis auff dise tage" [30], wobei eben schleierhaft ist, wann er dies zu Papier brachte. Festzuhalten ist: Die genannten Stellen sind in den Fluss der Darstellung eingereiht, und weder der paläographische Befund noch die Lagenzusammensetzung der Schreibblätter erlaubt die Annahme, er habe hier etwas nachgetragen oder gar eingeschoben. Zuletzt sei ein Eintrag zu 1643 genannt, wo er die Einquartierung von Reitern Jan van Werths ab dem 10. Dezember die härteste nennt, "dan so lang der Krieg gewehret hat" [31]. Nur hier könnte er Jahre später den Raum bis zum nahenden Anfang einer neuen Blattlage (fol. 103r) genutzt haben, doch wäre dann der nachfolgend angemerkte Ausgang seiner 18. Flucht ebenfalls als Nachtrag einzustufen.

Materielle Aspekte der Handschrift

<12>
Derlei Zeitsprünge durchziehen die Chronik zumindest bis zum Kriegsende. Ein eindeutige Zäsur, ab derer ein regelmäßiger Schreibfluss anzusetzen wäre, lässt sich meines Erachtens nicht erkennen, auch nicht zum wahrscheinlichen Zeitpunkt der Zusammenfassung des Manuskripts 1628: In diesem Jahr nämlich vermerkte Heberle auf dem hinteren, später nicht mehr ausgewechselten Deckblatt seine Verfasserschaft [32]. So ist anzunehmen, dass er seine Chronik 1628 heftete oder sogar binden ließ [33], vielleicht mit dem optimistischen Vorsatz, das somit entstandene Buch voll und ganz zu füllen [34].

<13>
Aufgrund dieser auch von Zillhardt mehr angedeuteten als ausgesprochenen Vorgehensweise verbietet sich allerdings seine These [35], Heberle habe nun immer wieder neue Blätter beschrieben und bei Bedarf gegen ältere ausgetauscht (es sei denn, Heberle hätte die Bindung aufgeschnitten). Außerdem: Das Einlegen fertig beschriebener Doppelblätter ist nur am Ende ausgefüllter beziehungsweise zwischen den einzelnen Blattlagen sinnvoll [36]. Schon daher verbot es sich ihm, so vorzugehen. Schließlich begann er nach der Heftung das fragliche Jahr 1628 zwar mit einer neuen Seite, aber in der Mitte derselben Lage. Die ganz am Anfang stehenden Passagen der Handschrift sind ebenfalls kohärent: So ist die Vorrede mit den Familiendaten verbunden, diese wiederum hängen in derselben Lage mit der Ereignisschilderung seit der Kometenerscheinung zusammen. Auch im weiteren Verlauf der Handschrift markieren neue Blattlagen nicht immer auch zeitliche und inhaltliche Zäsuren [37]. Neben vier eindeutigen Lagenwechseln, die auch Themenwechsel mit sich ziehen [38], sind hiervon zwei weitere Stellen auszunehmen, an denen Heberle am Anfang der Lage vier beziehungsweise zwei Seiten frei lässt [39].

<14>
Diese Auslassungen offenbaren das Verfahren Heberles, die Blanco-Felder seines Buches je nach Anlass, Gelegenheit und Bedürfnis sukzessive aufzufüllen. In der Regel handelt es sich bei den Nachträgen um umfassende, in dichter Zeilenfolge gedrängte und in Schriftgestalt wie Tintenfarbe einheitliche Schilderungen diplomatischer und Kriegsereignisse [40], deren Eintragung er um die bereits gesetzten Alltagschilderungen herum gruppierte. Aus einigen zeitlichen Referenzen Heberles nämlich [41] und der Vielzahl dieser sehr speziellen Notate über Wetter, Ernte, Preise et cetera ist durchaus plausibel zu schließen, dass er sie in relativer Nähe zu den Ereignissen beziehungsweise Beobachtungen anfertigte. Ad-hoc-Eintragungen zu jedweder Zeit waren aber auch das nicht: Schon seine schwierige persönliche Situation als praktisch permanent auf der Flucht befindlicher Familienvater verbietet die Annahme, Heberle habe laufend zur Feder gegriffen [42]. Die großzügige, paläographisch säuberliche und wiederum einheitliche Verteilung dieser sprachlich knapp gefassten Meldungen über die Seiten [43] lässt vielmehr stark vermuten, dass er auch diese schubweise gebündelt zu Papier brachte, dabei denkbarerweise auf anderweitige Notizen zurückgreifend. Neben der 'großen Geschichte' scheint er aber auch manches 'Kleine' erst Jahre oder gar Jahrzehnte im Rückblick aufgeschrieben zu haben. Im Ganzen darf man ohnehin nicht zu viel der konzeptionellen Geschlossenheit erwarten: Heberle hat sich sicherlich mehrfach kurzfristig entschieden, dieses zu schildern und jenes wegzulassen [44]. Das rechte Verhältnis zwischen den kleinen und großen Dingen zu finden, scheint auch für ihn zuweilen problematisch gewesen zu sein [45]. Unweigerlich fühlt man sich an den Kölner Chronisten Hermann Weinsberg (1518-1597) erinnert, der eine "genealogie und eigenschaft des stams und haus Weinsberch" hatte verfassen wollen, dann aber mit einiger Verlegenheit die tagebuchartige Fortführung seiner Aufzeichnungen erklärte [46]. Auch bei Heberle kann man sich gut vorstellen, dass es die pure Lust am Schreiben (beziehungsweise Schreibenkönnen) war, die ihn zu laufenden Eintragungen trieb [47].

<15>
Diese gerafften Beobachtungen über die zeitliche Nähe Heberles zu vielen der von ihm geschilderten Ereignisse - der Gesichtspunkt seiner physischen Nähe wurde bewusst ausgespart [48] - komplizieren das Bild zweifellos eher als dass sie es aufhellen. Auf der Textgrundlage allein ist jedoch eine befriedigende Rekonstruktion des Schreibprozesses und damit im wesentlichen auch die Verhältnisbestimmung von Erfahrung, Erinnerung und Entlehnung nicht zu leisten. Indes lassen sich auch aus dem eher negativen Befund positive Aussagen über Ethos und Selbstverständnis des Verfassers treffen.

Selbstbezug und Zeitbezug

<16>
Aus der Ankündigung, in seiner Chronik Dinge aufzuschreiben, die "etwas gross bedeüten und mit sich bringen", erwuchs dem Verfasser neben einer offenkundigen Befriedigung durch das Schreiben die Herausforderung und Verpflichtung, dem auch gerecht zu werden. Die Bedeutung seines eigenen Erlebens (über das nur er Zeugnis abgeben konnte) ließ sich indes mit der der großen Zeitereignisse (die als maßgebliche Autorität zu schildern er sich nicht ernsthaft anmaßen konnte) schwerlich messen. Heberle musste in seinem "Zeytregister" - das schon per definitionem eine Ereignischronik und keine Lebensgeschichte ankündigt [49] - also ein ausgewogenes beziehungsweise vertretbares Verhältnis von selbstbezogener und übergeordneter Darstellung finden. Mit Blick auf die in den Anfängen stehende Gattung 'Autobiographie' wie auf die zeitgenössischen literarischen Konventionen im Allgemeinen ist in diesem Zusammenhang grundsätzlich in Rechnung zu stellen, dass die Hervorhebung der eigenen Person in Texten des 15. bis 17. Jahrhunderts als tendenziell ungebührlich galt und entsprechend an statthaftere Schreibzwecke zu binden war [50]: die Darstellung der Handlungen von Dynasten und Potentaten, die Her- wie Anleitung der eigenen (zweckmäßigerweise ehrwürdigen) Familie, das Lob des wie auch immer bemessenen "vatterlands", die Beschreibung und Affirmation des Standes.

<17>
Die Beschwörung einer höheren Relevanz, als sie der eigenen Person hätte beigemessen werden dürfen, gehört somit zum Grundbestand autobiographischer Texte jener Zeit. So schreibt der erwähnte Hermann Weinsberg [51], er habe die "heroica und namhaftige groisse kreichs- und religionssachen" seiner Lebensgeschichte deshalb hinzugefügt, weil letztere ja nur von ganz geringer Bedeutung sei, auf diese Weise aber "etwas verzeret" werde. Dennoch scheint bei ihm eine gewisse Unsicherheit durch, ob denn "groisse und klein sachen wol bei einanderen geduldet werden". Nachdrücklicher noch bekräftigte der in Ulm gebürtige Zeitgenosse Heberles, der Kaufmann Hans Ulrich Krafft († 1621), in der Vorrede zu seiner Lebens- und Reisebeschreibung, dass er keineswegs aus "Rohm noch Aus hoffart oder Ergeytz" zur Feder gegriffen habe, sondern allein, um seinen Söhnen mit der "vätterlichen Wolmainendten erInnerung" zu dienen [52]. Diese lehre sie Gottesfurcht und Aufrichtigkeit. Der höchste und legitimste Sinnzusammenhang der Autobiographie ist somit der christlich-religiöse, in den auch der tief gläubige Protestant Hans Heberle alles Geschehene einordnet: Gleich anderen protestantischen Verfassern ist ihm der Krieg göttliche Strafe für menschliche Sündhaftigkeit [53], sind überhaupt alle Unbilden und alles menschliche Elend der diesseitigen Existenz in letzter Konsequenz Schickungen, die einem göttlichen Heilsplan folgen [54].

<18>
Die Voraussetzung der Darlegung 'großer' Ereignisse setzt in bestimmtem Maße ein Vorwissen um ihre Entwicklung voraus. Da Heberle nicht daran gelegen war, unwägbare, unentschiedene Dinge zu Papier zu bringen, war sein retrospektivisches Schreibverfahren unumgänglich. Insofern relativieren sich auch seine Hinweise (der zweite nach zehn Jahren Abstand) auf den Kometen [55] und auf die einschneidende Erfahrung der Gegenreformation in Württemberg (dies nach 20 Jahren) [56]. Dass der Wiedergabe der jeweils abgeschlossenen Ereignisse eine Abwägung ihrer Bedeutung vorausgegangen sein muss, hat unweigerlich deren Auswahl und Stil der Schilderung beeinflusst. Die Unsicherheit einer Flucht hätte so, wenngleich nicht notwendigerweise, doch vielleicht, Ausdrücke der Bangheit gefunden, wäre ihr Ausgang ungewiss gewesen [57], und eventuell hätte er auch den Tod seiner Kinder und Familienangehörigen anders als mit dem floskelhaft anmutenden Wunsch einer "fröhlichen aufferstehung" kommentiert, hätte er jeweils unmittelbar danach zur Feder gegriffen [58]. Um Gefühle aber ging es ihm - natürlich, wie man sagen muss - nicht, sondern um eine möglichst vollständige Registrierung und Bilanzierung abgeschlossener Fakten. Der sicher kostspielige und aufwändige Erwerb von Informationsmaterial, die Detailangaben, deren Korrektheit er ausdrücklich betont [59], außerdem die ersichtliche Bemühung, wenn nicht um Neutralität, so doch um Abgewogenheit des Urteils [60] verdeutlichen Heberles Ethos als Chronist, der seiner Nachwelt Ereignisse von hoher Bedeutung aus, wie er meint, erster Hand schildern will.

<19>
Zur Ausmalung des Bildes bedient er sich freilich der in zeitgenössischen Chroniken üblichen Wunderzeichen [61]. Doch abgesehen davon, dass ihm, wie anderen Zeitgenossen auch, manches vermeintlich Übernatürliche als subjektiv 'wahr' erschienen oder berichtet worden sein mag (Kometen, Sommerzeichen et cetera), sind derartige literarische beziehungsweise evangelisch-religiöse Topoi von der Realgeschichte ziemlich klar zu unterscheiden. Dass Heberle im Nachhinein seine Fluchten nach Ulm nummerierte und auf die Zahl 30 gelangte, ist weder zwingend als bemühte Analogie zu 30 Jahren Krieg anzusehen, noch auch ließe sich daraus eine relevante Verfremdung der Tatsachen ableiten [62]. Diesseits der religiösen Sphäre, in Dingen der persönlichen Erfahrung, ist das Urteil des 'routinierten' Flüchtlings Hans Heberle jedoch völlig nüchtern: So spricht aus der konkreten Manifestation der göttlichen "kriegsstraff" für ihn nichts anderes als Brutalität, Verrohung und Eigensinn ("dan es vast nie anderst ist gewesen dan ein raubkrieg") [63]. Da Heberle zwar eine nur rudimentäre Schulbildung besaß, durchaus aber eine basale lutherisch-orthodoxe Sozialisierung erfahren haben dürfte [64], ist dies eine um so höher einzuschätzende Klarsicht der Verhältnisse. Heberles ebenfalls schreibenden Zeitgenossen, den schweizerischen Bauern Jost von Brechershäusern († 1657?), prägten jedenfalls seine konfessionelle Voreingenommenheit und die ihm zugänglichen "Zeytungen" zu einem gänzlich unkritischen Parteigänger Schwedens im Krieg [65].

<20>
Die konstatierte Zurückhaltung Heberles betrifft auch seine soziale Selbstverortung. Evident ist allenfalls seine Bindung gegenüber den protestantischen Glaubensgenossen ("wir Evangelischen" [66]). Während sein (um einiges besser gestellter) Zeitgenosse Caspar Preis seine Zugehörigkeit zum Armeleutestand bekräftigt, wo sich nur die Gelegenheit bietet [67], scheint bei ihm an nur einer einzigen Stelle seine Identifikation mit dem im Krieg leidenden Bauernstand durch [68]. Überhaupt macht Heberle keine Anstalten, sein Milieu (Nachbarn, Freunde, Soziabilität) zu beschreiben. Sein Verhältnis zur bäuerlichen Gemeinschaft - üblicherweise spricht er anonymisierend vom "landtvolck" [69] in der dritten Person - bleibt völlig unbeleuchtet [70]. Die typischen Ausdrücke, die er wählte, wenn gutes Wetter "die liebe frucht" zu guter Ernte reifen ließ [71], deuten zwar hinlänglich auf ein 'bäuerliches Bewusstsein' hin, dies aber eher im Sinne einer Teilhabe an der bäuerlichen Lebensform als im Sinne einer ständischen beziehungsweise sozialständischen Zugehörigkeit. Schließlich gehörte er einer niedrigen bäuerlichen Schicht an, wenngleich er, außer in unmittelbarer Kriegsnot, allem Anschein nach ein auskömmliches Leben führen konnte. Eine negative Abgrenzung vollzog er sichtlich gegenüber den Soldaten, die er ihres notorischen "muttwillen" wegen fürchtete und gering achtete [72].

<21>
Im Unterschied zu anderen bekannten bäuerlichen Chronisten seiner Zeit, wie Caspar Preis [73], Andreas und Georg Dötschel [74], mit Einschränkungen auch Hartich Sierk [75] oder Jost von Brechershäusern [76] (bei denen im Gegensatz zu den Erstgenannten die Geschehnisse auf Reichsebene einen größeren Stellenwert einnehmen), war sich Hans Heberle ab einem bestimmten Zeitpunkt der Historizität der Ereignisse seiner Zeit wohl bewusst. Im spezifisch protestantischen Sinnhorizont mag er die drei Jahrzehnte seines Erwachsenendaseins zwischen Reformationsgedenken und Kometenerscheinung einerseits und dem Friedensschluss andererseits als eine ihm persönlich bestimmte Koinzidenz persönlichen Schicksals und epochaler Ereignisse aufgefasst haben, bei deren Aufzeichnung er einer ebenso höheren Bestimmung folgte. Mit derlei Überlegungen aber begäbe man sich bereits auf eine abstrakte Interpretationsebene, auf der das "Zeytregister" keinen festen Boden bietet. Dieses fußt auf der als solcher weder begründeten noch auch nur ausgesprochenen Einsicht seines Verfassers, dass Erinnerung einen Wert in sich selbst darstelle. So bleibt es abzuwarten, ob die moderne Interpretation hinter der zuweilen ephemeren Gegenständlichkeit dieser Schilderung verborgene 'Sinnstiftungen' enthüllen, oder, im vergeblichen Falle, ebensolche produzieren wird.

Anmerkungen

1Vgl. zu Grimmelshausen Hans Medick / Benigna von Krusenstjern: Einleitung: Die Nähe und Ferne des Dreißigjährigen Krieges, in: Dies. (Hg.): Zwischen Alltag und Katastrophe: Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 148), Göttingen 1999, 13-36, hier: 32-34 (dort die maßgebliche Literatur).
2Als Beispiel für den häufigen Rückgriff auf das "Zeytregister" vgl. Ruth-E. Mohrmann: Alltag in Krieg und Frieden, in: Klaus Bußmann / Heinz Schilling (Hg.): 1648 - Krieg und Frieden in Europa, Bd. 1: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft (= Europaratsausstellung, Bd. 26/1), Münster 1998, 319-327.
3Gerd Zillhardt (Hg.): Der Dreißigjährige Krieg in zeitgenössischer Darstellung. Hans Heberles "Zeytregister" (1618-1672). Aufzeichnungen aus dem Ulmer Territorium. Ein Beitrag zu Geschichtsschreibung und Geschichtsverständnis der Unterschichten (= Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm, Bd. 113), Ulm 1975, 65-67. Ich zitiere im Folgenden aus der Edition. Bezugnahmen auf das Original der Handschrift (Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. qu. 1125) sind durch die Folioangabe recto/verso gekennzeichnet.
4In diesem Zusammenhang ist vor allem an die recht zahlreichen, allerdings vorwiegend in Norddeutschland und Dänemark angesiedelten 'Schreibe-'‚ oder 'Anschreibebücher' zu denken. Vgl. Klaus-Joachim Lorenzen Schmidt / Bjørn Poulsen (Hg.): Bäuerliche Anschreibebücher als Quellen zur Wirtschaftsgeschichte (Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins, Bd. 21), Neumünster 1992. Darüber hinaus bietet die beim Server Frühe Neuzeit eingestellte Bibliographie von Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt: Bibliographie zur Literatur über europäische bäuerliche Schreibebücher, eine hervorragende Einweisung in die spezielle und neuere Forschungsliteratur (bis 2001), URL: http://www.sfn.uni-muenchen.de/schreibkultur/index.html.
5S. oben, Anm. 3. Abgesehen davon, dass natürlich viele 'Selbstzeugnisse' gar nicht publiziert sind (siehe z. B. den Beitrag von Olaf R. Richter zur Autobiographie des jülich-bergischen Rates Petrus Simonius Ritz in dieser Ausgabe der "zeitenblicke"), ist dies insofern zu betonen, als die meisten persönlichen Quellen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges ohne Anspruch auf editorische Wissenschaftlichkeit an entlegener Stelle veröffentlicht wurden. Davon zeugt hinlänglich die Aufstellung von Benigna von Krusenstjern: Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Beschreibendes Verzeichnis (= Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 6), Berlin 1997, derer ich mich bei der Heranziehung der wichtigsten bäuerlichen Chroniken bedient habe.
6Vgl. unter den inzwischen zahlreichen methodologischen Reflexionen z. B. Thomas Welskopp: Die Sozialgeschichte der Väter. Grenzen und Perspektiven der Historischen Sozialwissenschaft, in: Geschichte und Gesellschaft 24 (1998), 169-194.
7Vgl. Jan Peters: Zur Auskunftsfähigkeit von Selbstsichtzeugnissen schreibender Bauern, in: Winfried Schulze (Hg.): Ego-Dokumente. Annäherungen an den Menschen in der Geschichte (= Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 2), Berlin 1996, 175-190, hier: 178-179. Peters' gattungsmäßige Unterscheidung popularer Schreibebücher (Erkundungsbuch, Aufschreibebuch, Darstellungsbuch, Selbstsichtungsbuch) hält Lorenzen-Schmidt aufgrund der von ihm in (vornehmlich norddeutschen und dänischen) bäuerlichen Schreibbüchern konstatierten inhaltlichen Heterogenität für verfrüht: Vgl. Klaus-J. Lorenzen-Schmidt: Warum schrieben Bauern?, in: Silke Göttsch / Wolfdieter Könenkamp / Kai Detlev Sievers (Hg.): Festschrift für Nis Rudolf Nissen zum 70. Geburtstag (= Kieler Blätter zur Volkskunde, Bd. 27), Kiel 1995, 109-126, hier: 116 (vgl. auch oben, Anm. [4]).
8Vgl. unter anderem Benigna von Krusenstjern: Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie 2 (1994), 462-471, die - mit gutem Grund - nicht auf die definitorische Qualität des Begriffs 'Selbstzeugnis', sondern auf dessen Nützlichkeit im Sinne eines "Leitbegriffs, Ordnungs- oder Schlagworts" abhebt (hier: 471).
9Vgl. zum Problemzusammenhang etwa Ulrich Muhlack: Hermeneutik und Geschichtswissenschaft, in: Zeitschrift für Historische Forschung 3 (1976), 61-97, hier: 69.
10Ausführlicher zur Person Zillhardt: "Zeytregister", 50-67, 278-279.
11Das Anwesen von Seldnern bestand im Kern in einem Haus (Selde), nicht wie bei Vollbauern in einer Haus und Land verbindenden Bauernhufe. Ihr Landbesitz war ganz unterschiedlich. Der gravierendste Unterschied zum Stand der Vollbauern bestand in der Dienstpflicht (vgl. Helmut Schmolz: Herrschaft und Dorf im Gebiet der Reichsstadt Ulm. Beobachtungen zur neueren Geschichte der Dörfer Nellingen, Gingen a. F., Türkheim, Überkingen, Unterböhringen und Steinenkirch, in: Ulm und Oberschwaben 36 (1962), 179-207, hier: 186-192). Heberle kaufte 1627 in Weidenstetten ein Seldgut (wenig später auch zusätzliches Ackerland), das er 1635 - zu rund 40% unterhalb des Erwerbspreises - wieder verkaufte, als er das Haus des verstorbenen Vaters in Neenstetten bezog (vgl. Zillhardt: "Zeytregister", 118, Anm. 111, 122, 155). Begünstigt durch Saatbedingungen, Ernten und Fruchtpreise besserte sich seine Situation seit Ende 1648 offensichtlich (vgl. auch ebenda, 61).
12Als solcher - nicht als Bauer - bezeichnet er sich selbst, doch bezog er seinen Eintragungen zufolge seinen Lebensunterhalt im Wesentlichen aus agrarischer Arbeit.
13Die Reichsstadt hatte ihr Einflussgebiet seit Ende des 14. Jahrhunderts weit über ihre Gemarkung hinaus getrieben. Ulm erreichte im ausgehenden 16. Jahrhundert einen Territorialumfang, der nach Nürnberg der größte im Reich war (er entsprach in etwa der Größe des heutigen Berliner Stadtgebiets). Die in diesem Areal lebenden Menschen waren huldigungspflichtige Untertanen der Reichsstadt, die die Landesherrschaft über rund 150 Dörfer durch die 'Herrschaftspflege' ausübte. Daneben verfügte die Stadt über den Grund und Boden im weitaus größten Teil des Territoriums, daneben über den Zehnt. Sie bündelte also die wesentlichen Herrschafts- bzw. Jurisdiktionsrechte. Vgl. Gerold Neusser: Das Territorium der Reichsstadt Ulm im 18. Jahrhundert. Verwaltungsgeschichtliche Forschungen (= Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm, Bd. 4), Ulm 1964, 34-43.
14Vgl. etwa stellvertretend für die Gruppe der (in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges allerdings äußerst seltenen) soldatischen 'Selbstzeugnisse' Jan Peters (Hg.): Ein Söldnerleben im Dreißigjährigen Krieg. Eine Quelle zur Sozialgeschichte (= Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 1), Berlin 1993; Holger Th. Gräf (Hg.): Söldnerleben am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. Lebenslauf und Kriegstagebuch 1617 des hessischen Obristen Caspar von Widmarckter (= Beiträge zur hessischen Geschichte, Bd. 16), Marburg 2000.
15Zillhardt: "Zeytregister", 85 (= fol. 1r; es ist hier im Manuskript "denckhbüechlein" statt "denckbbüechlein" zu lesen).
16Zillhardt: "Zeytregister", 86.
17Es handelte sich de facto um die drei vom August bis November erscheinenden Kometen, die Kepler 1619 in seiner Schrift "De Cometis" beschrieb. Heberle bezog hierüber nach eigener Aussage Informationen aus dem Druck von Conrad Dieterichs "Kometenpredigt" (vgl. Zillhardt: "Zeytregister", 87 mit Anm. 6-7).
18Zillhardt: "Zeytregister", 86-87.
19Vgl. Zillhard: "Zeytregister", 80-81, der immerhin einräumt, dass Heberle "mehrere Blätter" erst "Monate oder gar Jahre" nach den Ereignissen ausfüllte.
20Zillhardt: "Zeytregister", 96.
21Zillhardt: "Zeytregister", 96 = fol. 10r-v, womit die Blattlage endet. Heberle hat das gesamte Jahr 1621 nachgetragen.
22Zillhardt: "Zeytregister", 118.
23Vgl. Zillhardt: "Zeytregister", 129.
24Vgl. Zillhardt: "Zeytregister", 135.
25Das schließt emphatische Wünsche auf bessere Zeiten nicht aus.
261625: Vorausblick auf zwei Monate bis Ostern (17. April) (Zillhardt: "Zeytregister", 113); 1626: Vorausblick vom Herbst bis auf Weihnachten (dadurch Relativierung des Ausdrucks "ietz im herbst", ebenda, 116); Anfang 1628: Soldaten haben einen ganzen Monat "geromoret" (ebenda, 119), wohl im Sommer 1628: Vorausblick auf die Abdankung einer in Setzingen stationierten kaiserlichen Kompagnie unter dem Oberkommando von Adam Philipp von Cronberg nach einem halben Jahr (ebenda, 122); Anfang 1637: zwei soldatische Verbände verbleiben jeweils einen Monat am Ort (ebenda, 168).
27Zillhardt: "Zeytregister", 93. Auch die oben zitierte, paläographisch überdies von den vorangegangenen Abschnitten unterscheidbare Bezugnahme auf den Kometen deutet die zeitliche Rückschau an (ebenda, 86 = fol. 2v).
28Sie zogen, wie er später berichtet, am 25. Januar 1631 wieder ab (die Stellen bei Zillhardt: "Zeytregister", 120 bzw. 132).
29Zillhardt: "Zeytregister", 146.
30Zillhardt: "Zeytregister", 156.
31Zillhardt: "Zeytregister", 195.
32"Von mir Johannes Heberlin schuomacher zu Weidensteten, aber von geburt und stamen zu Nensteten, 1628" (Zillhardt: "Zeytregister", 79). Dass der Eintrag tatsächlich 1628 erfolgte, lässt sich zwar nicht belegen, ist aber doch sehr wahrscheinlich.
33Die aktuelle Bindung in papierbezogenem braunem Karton mit braunem Schweinslederrücken wurde höchst wahrscheinlich nach der Akquisition der Berliner Staatsbibliothek (1888) angefertigt, doch bezieht sich schon 1827 ein Vorbesitzer auf die Schrift in deren Buchform. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Heberle das "Zeytregister" in der Vorrede selbst "denckhbüechlein" bzw. "büechlein" bezeichnet, ausserdem dass die Papier- bzw. Blattstruktur des gebundenen Buchs völlig einheitlich ist.
34Mit seiner biographischen Situation hätte sich dies durchaus vertragen: Im Oktober 1627 hatte er geheiratet; im Sommer 1628 konnte er kurz vor der Geburt seines ersten Kindes, seinen Landbesitz durch Kauf vergrößern (Zillhardt: "Zeytregister", 51-52 und 61 [Kommentare] sowie 117-118, 122-123 [Chronik]).
35Vgl. die Aussagen bei Zillhardt: "Zeytregister", 79-80, auch 94, Anm. 39, und 273 mit Anm. 628.
36Heberle schrieb auf mittig gefalteten Blättern, so dass ein Doppelblatt vier Seiten ergab. Die Lagen bestanden aus zwei bis fünf ineinander gelegten Doppelblättern. Paginiert wurden die Seiten frühestens im 19. Jahrhundert. Vgl. zu derlei technischen Aspekten Karin Schneider: Paläographie und Handschriftenkunde für Germanisten. Eine Einführung (= Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte, Bd. B 8), Tübingen 1999, 117-125.
37Bis zum Jahreseintrag 1650 entfallen Blattseiten auf je eine Lage wie folgt: fol. 1r-4v, 5r-10v, 11r-18v, 19r-24v, 25r-34v, 35r-40v, 41r-50v, 51r-56v, 57r-66v, 67r-72v, 73r-82v, 83r-86v, 87r-96r, 97r-102v, 103r-110v, 111r-118v, 119r-126v, 127r-134v, 135r-142v, 143r-148v.
38Bis 1650 fallen neue Blattlagen und Jahreswechsel nur viermal zusammen (fol. 11r: 1622; 25r: 1626; 41r: 1631; 103r: 1644).
39In der Handschrift fol. 83r und fol. 97r.
40Vgl. z. B. den Jahreseintrag 1636 (Zillhardt: "Zeytregister", 165-167 = fol. 69r-70r).
41In der Karwoche 1635 ruft er den Herrn um "ein fröhlichen Ostertag" an (Zillhardt: "Zeytregister", 154), seine (elfte) Flucht nach Ulm "heüt, den 23 Aprel"(1638) (ebenda, 171) notierte er offenbar noch am selben Tag. Im Jahr 1622 erwähnt er, er habe während der Genesung von Verletzungen, die er sich durch einen Fall vom Baum zuzog, ein Dankgedicht an den Herrn geschrieben (wobei er sich einer Vorlage bediente), was aber kein hinreichender Beleg für die laufende Anfertigung der Schrift ist (ebenda, 103).
42Zillhardt: "Zeytregister", 80-81, geht im Gegenteil davon aus, dass Heberle um so häufiger Eintragen machte, als er sein Manuskript stets mit sich geführt habe.
43Z. B. fol. 66r-68r (1636). Dabei ist zu betonen, dass die gesamte Chronik keine einzige Streichung enthält.
44So kann man Heberles Verzicht auf die Schilderung von Conrad Dieterichs Kometenpredigt direkt zu Anfang verstehen. Statt der eigenen Ankündigung zu folgen, bringt Heberle in großer Breite Familiennachrichten. - Dieterich (gest. 1639) war die überragende Persönlichkeit im religiösen bzw. Geistesleben der Stadt. Heberle bezieht sich in seiner Chronik häufig auf ihn. Vgl. Monika Hagenmaier: Predigt und Policey. Der gesellschaftspolitische Diskurs zwischen Kirche und Obrigkeit in Ulm 1614-1639 (= Nomos-Universitätsschriften Geschichte, Bd. 1), Baden-Baden 1989.
45Ein deutliches Beispiel ist die Jahresschilderung 1631 (Beginn der siebten Lage, fol. 41r-50v), die Heberle mit dicht gedrängten Ausführungen zur "kriegs historia" beginnt, worauf anschließend die örtlichen Beobachtungen folgen (mit dem erwähnten Rückblick auf den Abzug der Cronenbergischen Reiter nach drei Jahren).
46Ab 1555 führte er dieses - zunächst retrospektiv - weiter als "gedenkboich der jahren mines lebens" (der Titel der veralteten Edition "Buch Weinsberg" trifft also nur für einen Teil des Manuskripts zu). Mit fortschreitender Zeit hatte er "disse anzeigung zu lieben" gelernt und hatte ihn die "wonderschone schreibkunst" ergriffen, gleichzeitig aber auch das Bewusstsein, Zeitzeuge herausragender Ereignisse zu sein. Vgl. Konstantin Höhlbaum (Hg.): Das Buch Weinsberg. Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert, Bd. 1 (= Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 16/1), Leipzig / Bonn 1886, 3-16, und Josef Stein (Hg.): Das Buch Weinsberg. Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert, Bd. 5 (= Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 16/5), Leipzig / Bonn 1926, 331-332; Literatur: Birgit Studt: Der Hausvater: Haus und Gedächtnis bei Hermann von Weinsberg, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 61 (1997), 135-160. Vgl. dazu auch den Projektbericht von Manfred Groten zur Neuedition des "Buch Weinsberg" in dieser Ausgabe der "zeitenblicke".
47Hinweise auf Heberles Verhältnis zur Schriftlichkeit bietet die Chronik nicht. Bemerkenswert ist immerhin, dass er 1622 ein Gedicht "für die langweyl" schreibt (Zillhardt: "Zeytregister", 103). Ohne weiteres ist davon auszugehen, dass Heberle, der als Kind nach eigener Aussage bis zum Alter von 13 (in den Wintern) die Schule besuchte, sich seiner außergewöhnlichen Befähigung nicht nur zum Schreiben, sondern auch zum Verständnis komplexer reichspolitischer Probleme wohl bewusst war; vgl. auch unten Anm. [64].
48Hauptsächlich sind hiermit seine Kenntnisse der Reichsgeschichte tangiert, die er hauptsächlich aus kursierenden kleineren Druckschriften wie Flugblättern und -schriften, Relationen etc. bezog. Dieser Aspekt berührt aber nicht unmittelbar den Schreibprozess (vgl. zu Heberles Quellen Zillhardt: "Zeytregister", 72-76).
49Die nachweisbaren Titel unter der Hauptbezeichnung "Zeitregister" liegen konnotativ auf einer Linie: Vgl. etwa: Chronicon Das ist: Zeitt Register vnd kurtze Beschreibung allerhand namhaffter gedächtnuß würdiger Geschichten vnd Thaten, so sich hin vnd wider in der gantzen Welt von derselben anfang, [...] biß auff gegenwertige Zeit vnd angehendes 1611. jahr begeben vnd zugetragen [...], Köln 1611, oder: Eine Chronologia oder Zeitregister : Darinnen erstlich bericht geschicht von mancherläi mäinungen vnd schwären fraagen, so bey der jaarrechnung fürfallen [...] / gestellet durch Johan-Jacobum Hermannum, Pfarrer zu Herborn, Herborn 1624.
50Vgl. Stephan Pastenaci: Erzählform und Persönlichkeitsdarstellung in deutschsprachigen Autobiographien des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur historischen Psychologie (= Literatur - Imagination - Realität, Bd. 6), Trier 1993, 5-9.
51Höhlbaum: Buch Weinsberg 1, 9.
52K[onrad] D[ietrich] Haszler (Hg.): Reisen und Gefangenschaft Hans Ulrich Kraffts (= Bibliothek des Litterarischen Vereins zu Stuttgart, Bd. 16), Stuttgart 1861, 3-4.
53Vgl. etwa die Einleitung zur Chronik des Bietigheimer Stadtschreibers Christoph Raph in: Günter Bentele (Hg.), Protokolle einer Katastrophe. Zwei Bietigheimer Chroniken aus dem Dreißigjährigen Krieg (= Schriftenreihe des Archivs der Stadt Bietigheim-Bissingen, Bd. 1), Bietigheim-Bissingen 1984, 191-253, hier: 191.
54Beispiele: Zillhardt: "Zeytregister", 93 (Komet), 113, 263 (Hagel), 182 (Wölfe), 263 (Krieg generell), 120, 151, 159, 161, 237 ('Jammer').
55Siehe oben Anm. 17 und 27.
56Zillhardt: "Zeytregister", 130.
57Vgl. etwa seine nachträgliche Beschreibung seiner fünften und schwersten Flucht nach Ulm (Zillhardt: "Zeytregister", 157).
58Immerhin versieht er ihm besonders nahe stehende Familienmitglieder gelegentlich mit dem Attribut "lieb" oder "herzallerliebst" (vgl. Zillhardt: "Zeytregister", 89, 122, 139, 149, 154 [!], 160, 266 [!]).
59Vgl. etwa die Angabe des Salzpreises 1635 ("das zeüg ich mit mundt und feder, wie auch mit meiner eigne handtschrifft") oder den Schlusskommentar zum Jahreseintrag 1646 ("Also wül ich diß triebselige jahr beschließen, da ich nur ein wenig beschriben hab, was ich selbs gesehen und geheret hab. In ander büecher wirstu mehr und weitleüffige finden und lesen"; Zillhardt: "Zeytregister", 161 bzw. 213).
60Dies gilt für die materiellen Verhältnisse ebenso wie für die Einschätzung soldatischen Verhaltens und das Freund-Feind-Verhältnis. Ingesamt freilich ist die Tendenz - aus dem Gefühl der Bedrängnis der eigenen Konfession - antikatholisch.
61Beispiele: Zillhardt: "Zeytregister", 110, 113, 126-127, 165, 189, 191.
62Die Nummerierungen der Fluchten (mit Ausnahme Nr. 1 und 23) hat Heberle frühestens 1648 nachgetragen. Jede einzelne Flucht aber ist als solche beschrieben und terminiert. Außerdem räumt Heberle selbst ein, sich über die genaue Zahl nicht ganz im Klaren zu sein (Zillhardt: "Zeytregister", 224 und 237). Zur zeitgenössischen Auffassung des Krieges vgl. Medick / Krusenstjern: Einleitung, 30 (dort die entsprechende Literatur).
63Zitate Zillhardt: "Zeytregister", 237 bzw. 168.
64Belege bietet die Chronik selbst nicht, auch sind von der Aussage im bäuerlichen Kontext Abstriche zu machen. Indes ist unumstritten, dass sich je nach Stand familiärer und örtlicher Pfarrverhältnisse auch Bauernkindern im 17. Jahrhundert Grundlagen der schulisch-religiösen Unterweisung boten. Vgl. z. B. die Regionalstudie von Jean Luc Le Cam: Schulpflicht, Schulbesuch und Schulnetz im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im 17. Jahrhundert, in: Hans Erich Bödeker / Ernst Hinrichs (Hg.): Alphabetisierung und Literalisierung in Deutschland in der Frühen Neuzeit (= Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung, Bd. 26), Tübingen 1999, 203-224; zum Ulmer Schulwesen allgemein: Zillhardt: "Zeytregister", 40-42. Denkbar ist zudem, dass Heberle früh durch charismatische Geistliche beeindruckt und beeinflusst wurde. Ein beredtes Beispiel für eine derartige Inspiration zum Lesen und Schreiben durch die Wirkung von Dorfgeistlichen ist der 'gelehrte' Bauer Nicolaus Schmidt gen. Küntzel (gest. 1671) aus dem thüringischen Rothenacker in seinem "Lebens-Lauff" von 1655. Vgl. Hermann Dunger (Hg.): Der Vogtländische gelehrte Bauer [...], Plauen 1876, Anhang II, 49-51.
65Alfred Bärtschi (Hg.): Die Chronik Josts von Brechershäusern, in: Burgdorfer Jahrbuch 25 (1958), 79-132, hier etwa: 98: "wäre dieß schwedische Volk noch ein paar Monat lang nit über Meer ins Deutschland ingefallen, so wäre es um uns die evangelischen Eidsgnossen zethun gsin"; dazu: Alain Dubois / Danièle Tosato-Rigo: Jost von Brechershäusern. Un paysan bernois du XVIIe siècle entre solidarité de classe et solidarité confessionelle, in: Albert Taumer / Anne-Lise Head-König (Hg.): Die Bauern in der Geschichte der Schweiz. Les paysans dans l'histoire de la Suisse (= Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 10), Zürich 1992, 105-128.
66Zillhardt: "Zeytregister", 101.
67Wilhelm A. Eckhardt / Helmut Klingelhöfer (Hg.), Bauernleben im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Die Stausebacher Chronik des Caspar Preis, 1636-1667 (= Beiträge zur hessischen Geschichte, Bd. 13), Marburg 1998, 37, 42, 44, 46 [!], 48, 50, 54-55, 62-65, 66-70. Mit der Bezeichnung "arm" hob er allem Anschein sowohl seine materielle Situation als auch die Opferrolle der Bauern gegenüber den Soldaten hervor. Nach dem Abzug der schwedischen Besatzungstruppen bezeichnet er sich in seiner bis 1667 reichenden Chronik nicht mehr als "arm".
68"Dan es geht alles uber das baursvolckh, es thut ihnen [den Reitern, S. L.] alles woll, wir seyen nur bauren" (Zillhardt: "Zeytregister", 190).
69Vgl. etwa Zillhardt: "Zeytregister", 163, 195.
70Insofern ist für Heberles "Zeytregister" das in bäuerlichen Selbstzeugnissen im allgemeinen typische Spannungsverhältnis von "Individualität und Kollektivität" kein wesentliches Merkmal. Vgl. Jan Peters, Wegweiser zum Innenleben? Möglichkeiten und Grenzen der Untersuchung popularer Selbstzeugnisse der Frühen Neuzeit, in: Historische Anthropologie 1 (1992), 235-259, hier: 246-249.
71Zillhardt: "Zeytregister", hier etwa: 179, 259, 263.
72Zillhardt: "Zeytregister", 124. Vgl. Michael Kaiser: Die Söldner und die Bevölkerung. Überlegungen zu Konstituierung und Überwindung eines lebensweltlichen Antagonismus, in: Stefan Kroll / Kersten Krüger (Hg.): Militär und ländliche Gesellschaft in der Frühen Neuzeit (= Schriftenreihe des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Bd. 1), Münster / Hamburg / London 2000, 79-120, der einen wachsenden Antagonismus zwischen Zivil- und Militärgesellschaft im 17. Jahrhundert konstatiert.
73Eckhardt / Klingelhöfer: Bauernleben.
74Rainer Hambrecht (Hg.): "Das Papier ist mein Acker ...". Ein Notizbuch des 17. Jahrhunderts von Handwerker-Bauern aus dem nordwestlichen Oberfranken, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 29 (1984), 317-450.
75Otto Mensing (Hg.): Die Bauernchronik des Hartich Sierk aus Wrohm (1615-1664), Flensburg 1925. Sierk (* 1588, gest. nach 1664) begann seine Aufzeichnungen 1615. Sie umfasst familiäre Notizen, Vorkommnisse im Kirchspiel, Kriegsschilderungen und Verträge, Sprüche et cetera. In seiner Schilderung der Kriegsereignisse steht stärker als bei Heberle seine Heimatregion im Vordergrund. Kommentierungen und Einordnungen in einen größeren Geschehensrahmen enthält er sich fast ganz. 1644 bricht die Schilderung für Jahre ab, Kriegsende bzw. Friedensschlüsse erwähnt er nicht. Die Edition, die den ursprünglichen Zusammenhang der Einträge zwecks Beseitigung von "Durcheinander" weitgehend auseinandergerissen hat, ist allerdings nur bedingt tauglich.
76Bärtschi: Chronik Josts von Brechershäusern.


Dr. Stephan Laux
Heinrich Heine Universität Düsseldorf
Historisches Seminar
Abteilung für Neuere Landesgeschichte
Universitätsstraße 1
40225 Düsseldorf
laux@phil-fak.uni-duesseldorf.de
http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/geschichte/rheingeschichte/index.html

Empfohlene Zitierweise:

Stephan Laux: "Etwas gross" aufschreiben. Quellenkritische Anmerkungen zum "Zeytregister" des Ulmer Chronisten Hans Heberle (1597-1677), in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 2 [20.12.2002], URL: <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2002/02/laux/index.html>

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ZEITENBLICKE ISSN: 1619-0459
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