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1 (2002), Nr. 1: Inhalt
Im Interview erwähnte Schriften von Wolfgang Behringer
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Stand und Perspektiven der Hexenforschung.
Ein virtuelles Gespräch mit Wolfgang Behringer

Wolfgang Behringer
Wolfgang Behringer
Wolfgang Behringer wurde 1956 in München geboren und lehrt als Professor für Geschichte an der University of York (Großbritannien). Er ist Mitherausgeber der Reihe "Hexenforschung" und der "Encyclopedia of Witchcraft". Publikationen (Auswahl): Hexenverfolgung in Bayern. Volksmagie, Glaubenseifer und Staatsräson in der frühen Neuzeit, 3. überarbeitete und mit einem Nachwort versehene Auflage, München 1997; Hexen. Glaube-Verfolgung-Vermarktung, München 1998; 2. überarbeitete Auflage 2000.

KLAUS GRAF:
Es gibt keinen heute lebenden deutschen Historiker, der wissenschaftlich mehr zur Geschichte der Hexenverfolgungen gearbeitet hat als Du. Trotzdem lehrst Du an einer englischen und nicht an einer deutschen Universität. Könnte dies auch damit zusammenhängen, dass eine allzu intensive Befassung mit der Hexenforschung in Deutschland einer akademischen Karriere nicht gerade förderlich ist? Anders gefragt: Wie siehst Du das Ansehen der Hexenforschung innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft?

WOLFGANG BEHRINGER:
Ich hoffe, dass das auch nicht gesundheitsschädlich ist. Bekanntlich ist ja Henry Charles Lea in sehr hohem Alter über der Lektüre eines Bamberger Hexenprozesses friedlich entschlafen. Ich glaube auch nicht, dass Hexenforschung der Karriere schadet, sondern dass derartige Themen vielmehr ein hohes Ausmaß an Aufmerksamkeit garantieren. Als ich 1978, angeregt durch ein Seminar von Richard van Dülmen in München, erstmals in Archiven nach Hexenprozessprotokollen suchte, war die Reaktion der mir zugeteilten Archivarin am Bayerischen Hauptstaatsarchiv wörtlich: "Ach wie schrecklich, müssen Sie das denn tun?" Sie konnte sich nicht vorstellen, dass man freiwillig an etwas Interessantem arbeitet, vielleicht auch nicht, dass man sich seine Themen selbst sucht oder dass gerade dieses Thema attraktiv sein könnte. Diese Einstellung hat sich meiner Ansicht nach in den 1980er Jahren grundlegend gewandelt, seitdem sich Generationen von Studenten für dieses Thema interessieren und auch darüber geprüft werden wollen.

Ich meine, dass in den Geschichtswissenschaften immer ein gewisses Nischendenken herrscht, und die Hexenforschung hat sich ebenfalls ihre Nische erkämpft. Professionelle Historiker, jedenfalls die meisten, beurteilen Publikationen weniger vielleicht nach den gewählten Themen als nach den Fragestellungen, der Methode und fachlichen Kompetenz, mit der diese Themen bearbeitet worden sind. Das Ansehen der Hexenforschung, falls es das Kollektiv überhaupt gibt, steht und fällt mit ihren besten Arbeiten, denn dass es nach wie vor zweifelhafte Publikationen gibt, dürfte niemand bestreiten. Sie prägen den Gesamteindruck mit, verhelfen aber auch den guten Arbeiten zur Profilierung.

Dass ich in England lehre, hängt in erster Linie davon ab, dass ich hier eine sehr gute Stelle in sehr kurzer Zeit bekommen habe. Ich habe mich beworben, wurde eingeladen, habe meine "presentation" gegeben und wurde in der folgenden Woche zu Vertragsverhandlungen eingeladen. Vom Vortrag bis zum Vertragsabschluss dauerte es genau zwei Wochen. Dies ist, im Vergleich mit den fünf Jahren, welche die Berufung von Wolfgang Schmale in Wien gedauert hat, ein entscheidendes Argument, wenn man eine Familie mit kleinen Kindern zu ernähren hat. Die deutschen Universitäten sind zu wenig flexibel und können gute Leute nicht halten. Und ich nehme an, dass sich dieser Trend verstärken wird. Auf den "Universities & Colleges Websites" des MIT gibt es allein unter dem Buchstaben A weitaus mehr amerikanische Universitäten als Hochschulen in ganz Europa.

KLAUS GRAF:
Wenn ich recht informiert bin, bist Du der einzige deutschsprachige Historiker, von dem zwei Monografien (über Bayern und Chonrad Stoeckhlin) ins Englische übersetzt wurden. Welche Position kommt der deutschen Hexenforschung im internationalen Kontext zu?

WOLFGANG BEHRINGER:
Wahrgenommen wird im Prinzip nur, was ins Englische übersetzt worden ist, oder besser noch: im Englischen geschrieben worden ist. Man muss sich nur die Habermas-Rezeption ansehen. Der "Strukturwandel der Öffentlichkeit", 1962 in Deutsch erschienen, wird seit 1989 weltweit diskutiert, seit dem Erscheinen der amerikanischen Ausgabe. Noch krasser ist das Beispiel von Norbert Elias. Aber nicht anders ist es natürlich mit der Hexenforschung. Wir haben unsere Freunde in Amerika, die auch deutsche Publikationen lesen können. Manchmal erfahren deutschsprachige Monografien allerdings eine erstaunlich gute und intensive Besprechung in den internationalen Rezensionsorganen. Bei meiner "Hexenverfolgung in Bayern" hatte ich Glück, sie wurde in Westeuropa und den USA von Anfang an genauso intensiv besprochen wie in Deutschland oder Österreich, und dies, ohne dass ich irgendeinen der Rezensenten damals gekannt hätte, die ich heute als gute Freunde betrachte.

Sprachkenntnisse werden in den nächsten Jahren rapide abnehmen. Nicht einmal mehr von Studenten in Cambridge oder Oxford können obligatorische Fremdsprachenkenntnisse erwartet werden, nicht Deutsch, nicht Latein, nichts. Gute Idee übrigens, die Goethe-Institute in York und Manchester zu schließen - dies dient wirklich der europäischen Integration. Mit anderen Worten: die deutsche Hexenforschung wird - von wenigen Ausnahmen abgesehen - überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Das betrifft natürlich die gesamte Forschung: mancher Name, der in Deutschland als groß gilt, schrumpft in englischen und amerikanischen Bibliothekskatalogen zu Zwergengröße, oder ist schlicht nicht existent. Die Probe aufs Exempel kann jeder in den online-Katalogen der großen Bibliotheken in London oder Washington machen.

Anders als bei der "Hexenverfolgung in Bayern" lagen übrigens die Dinge bei meiner Mikrostudie "Chonrad Stoeckhlin und die Nachtschar" (1994). Hier gab es in Deutschland zwar Rezensionen von Journalisten in der SZ, der FAZ, et cetera. Aber nicht eine einzige Rezension in einer Fachzeitschrift. Seit der amerikanischen Übersetzung "Chonrad Stoeckhlin and the Phantoms of the Night" (1998) kann ich mich dagegen über fehlende Resonanz nicht mehr beklagen. Die Rezensionen kommen gerade, und sie sind enthusiastisch, weil wir ja bekanntlich noch nicht so viele lesbare Mikrogeschichten besitzen und bisher jede (Ginzburg, Davis, Sabean, Brown, Brucker, Roper) einen völlig anderen Aspekt vergangener Wirklichkeit beleuchtet. Bei meiner Berufung nach York dürfte die Publikation gerade dieses Buches eine wichtige Rolle gespielt haben. Hier kann man wirklich die Unterschiede zwischen den Universitätssystemen sehen. Die Studenten zahlen und wollen interessante Dinge hören, daher stellen die Departments Leute mit interessanten Themen im Angebot gezielt ein. Es gibt nämlich Konkurrenz.

In Deutschland, würde ich vermuten, hätte man den Stöckhlin ignoriert oder allenfalls als lässliche Sünde durchgehen lassen. Ja, wenn er wenigstens Reichstagsabgeordneter gewesen wäre ... War er aber nicht. Er war Rosshirt, und das macht ihn gerade so interessant.

KLAUS GRAF:
Wo liegen Deiner Ansicht nach die besonderen Stärken und Schwächen der deutschen Hexenforschung im internationalen Vergleich?

WOLFGANG BEHRINGER:
Die besonderen Stärken liegen darin, dass wir in unseren Archiven über die Quellen verfügen. Deutschland war bekanntlich das "heartland of the witchcraze", wie Erik Midelfort schon vor Jahren einmal geschrieben hat, und man braucht nur wenige Kilometer zu fahren, um Quellen zu finden. Außerdem sind wir mit dem Arbeitskreis Interdisziplinäre Hexenforschung (AKIH), dem Server Frühe Neuzeit, der Mailingliste und zahlreichen anderen Arbeitszusammenhängen inzwischen ziemlich gut vernetzt. Dadurch kann am Thema Interessierten wirksam geholfen werden. Außerdem gibt es immer wieder herausragende Studien.

Eine Schwäche sehe ich darin, dass immer noch viel geforscht wird, weil einfach Quellen da sind, ohne dass Fragestellungen angewendet werden, die der internationalen Forschungslandschaft entsprechen. Hier, meine ich, liegt die Verantwortung der jüngeren Kollegen, die gerade irgendwo zu Amt und Würden gelangen. Ein komischer Ausdruck, nicht wahr? Vor zehn Jahren noch als Studenten in der Trinkstube des Weingartener Tagungszentrums, jetzt als gesetzte Gelehrte. Aber ich denke, dass wir alle durch die Diskussionen im Rahmen unserer Arbeitskreise gewonnen haben.

KLAUS GRAF:
Wie würdest Du die Rolle des Schamanismus bei der Ausbildung des historischen Hexenglaubens bestimmen?

WOLFGANG BEHRINGER:
"Schamanismus" betrachte ich eher als Konzept, denn als Tradition. Spekulationen über prähistorische Zeiten gehören in die Trinkstube, nicht ins Internet.

KLAUS GRAF:
"Languages of Witchcraft" lautet der Titel eines neuen englischen Sammelbandes. Denkst Du, dass in der englischsprachigen Forschung die hier zu Lande eher wenig beachteten Aspekte der Narrativität und sprachlichen Verfasstheit von Hexenaussagen (oder auch die Diskursanalyse) überschätzt werden?

WOLFGANG BEHRINGER:
Ich glaube, dass Sprach- und Strukturanalysen einen wichtigen Zugang zu den Texten in unseren Archiven bieten können. Dass Versuche, Wirklichkeiten in Sprache aufzulösen, scheitern müssen, kann man an Stuart Clark's "Thinking with Demons" beobachten. Seiner Ansicht nach bewegen sich alle Dämonologen im selben Diskurs. Das würde ich schärfstens bestreiten. Ob dies der Fall ist, kann man nur entscheiden, wenn man die Texte in soziale Kontexte stellt. Spee zum Beispiel gibt explizit zu, dass Hexen existieren. In seiner ganzen "Cautio Criminalis" schreibt er aber zwischen den Zeilen gegen genau diese Vorstellung an. Ich würde mit Perez Zagorin behaupten, dass die gesamte Frühe Neuzeit eine Zeit war, in der kein vernünftiger Mensch offen seine tatsächliche Meinung sagen konnte. Sprachanalyse müsste meiner Ansicht darauf zielen.

Für den besten Aufsatz in der genannten Sammlung halte ich David Wootons Beitrag zur "Family of Love". Bei diesen esoterischen Gruppen liegt vielleicht der Schlüssel zum Verständnis, dessen was Johann Weyer mit Anton Prätorius und Reginald Scot verbindet.

KLAUS GRAF:
Welche methodischen Aspekte sind für Deine eigene Arbeit besonders wichtig?

WOLFGANG BEHRINGER:
Na ja, solche Fragen können weit führen, zu weit vermutlich. Mit großen Begriffen möchte ich auch nicht um mich werfen. Um es kurz zu machen: Augen offen halten, das erforschen, was Spaß macht, und das Vetorecht der Quellen beachten.

KLAUS GRAF:
Wenn Du einem Doktoranden, der etwas über "Hexen" machen will, ein Thema empfehlen solltest, was würdest Du ihm vorschlagen?

WOLFGANG BEHRINGER:
Ich würde ihn oder sie vor allem fragen, woran sie oder er interessiert ist. Es gibt so viele interessante Themen wie Sand am Meer.

KLAUS GRAF:
Und einem Habilitanden?

WOLFGANG BEHRINGER:
Dasselbe. Der Unterschied scheint mir nur im Alter zu liegen.

KLAUS GRAF:
Nenne bitte eine Publikation zum Thema, die Dich in letzter Zeit am meisten beeindruckt hat.

WOLFGANG BEHRINGER:
Ian Bostriges "Witchcraft and it's Transformations", Martine Ostoreros kommentierte Edition "L'imaginaire du sabbat", Jim Sharpe's Fallstudie zu "Anne Gunther", Jürgen Schmidts Doktorarbeit zur Kurpfalz, Di Simplicios Arbeit zu Siena, außerdem die noch nicht publizierte Habilitationssschrift von Gudrun Gersmann zu den Wasserproben in Westfalen, und dies aus sehr unterschiedlichen Gründen. Maria Tausients "Ponzona en los Ojos", das ich gerade erhalten habe, konnte ich nicht anpacken, da die Kinder das Spanischwörterbuch versteckt haben. Sieht aber aus, als ob es die Mühe lohnt. Habe ich was vergessen? Vermutlich.

KLAUS GRAF:
Haben nach Deinen Erfahrungen englische Studenten einen anderen Zugang zur Hexenproblematik als deutsche?

WOLFGANG BEHRINGER:
Genau denselben, alle denken in nationalen Nischen.

KLAUS GRAF:
Wiederholt klagen seriöse HexenforscherInnen über die "Belehrungsresistenz" der breiten Öffentlichkeit, die unbeirrbar an Klischees wie der Schuld der Kirche oder am Mythos der 9 Millionen verbrannten Hexen festhält. Was könnte unternommen werden, um daran etwas entscheidend zu ändern?

WOLFGANG BEHRINGER:
In bezug auf die Funktion der Wissenschaft in unserem Kulturbetrieb bin ich eher pessimistisch. Aber es ist doch schön: Wir haben immer etwas worüber wir uns aufregen können, und eine Legitimation dazu.

KLAUS GRAF:
Moderne esoterische Strömungen berufen sich auf die historischen "Hexen". Wie schätzt Du die Gefahren ein, die von ihnen ausgehen?

WOLFGANG BEHRINGER:
Gering, sie spielen bei uns in Wirklichkeit keine Rolle. Interessant wäre hier sicher der Austausch mit Kollegen von afrikanischen Universitäten.

KLAUS GRAF:
Abschließend noch einige Fragen zu den Perspektiven der Hexenforschung im digitalen Zeitalter. Viele Historiker denken, dass zum Thema "Hexen" im Internet noch fast nur Müll zu finden ist. Wie siehst Du das?

WOLFGANG BEHRINGER:
Es kommt ja darauf an, was man hineinstellt. Ich habe auch schon interessante Dinge gefunden. Und die Esoterikindustrie erfüllt ja eine andere Funktion als die Wissenschaft.

KLAUS GRAF:
Nenne bitte eine Hand voll von Internetseiten, die Du weiterempfehlen kannst.

WOLFGANG BEHRINGER:
Auswendig weiß ich keine, und meine bookmarks möchte ich jetzt nicht aufrufen.

KLAUS GRAF:
Du bietest selbst Informationen im WWW an. Wie sind Deine Erfahrungen?

WOLFGANG BEHRINGER:
Gelegentlich meldet sich jemand, beispielsweise ein Amerikaner, der den Stoeckhlin verfilmen will.

KLAUS GRAF:
Wo liegen Deiner Ansicht die Vorteile und die Nachteile des neuen Mediums für die Hexenforschung?

WOLFGANG BEHRINGER:
Wie in anderen Bereichen auch. Vorteil ist vor allem die Geschwindigkeit. Aber die ist ja bekanntlich keine Hexerei.

KLAUS GRAF:
Brauchen wir eine eigene Zeitschrift "Hexenforschung" oder "Witchcraft Research" (womöglich als E-Journal)?

WOLFGANG BEHRINGER:
Ich habe schon bei der Gründung der Serie "Hexenforschung" für eine solche Zeitschrift plädiert. Jetzt wo ich selber als Lehrstuhlinhaber eingespannt bin, sehe ich, warum die älteren Kollegen keine Lust dazu hatten.

KLAUS GRAF:
Wie gefällt Dir die seit August 2000 existierende deutschsprachige Mailingliste "Hexenforschung"?

WOLFGANG BEHRINGER:
Na, klasse. Ich ziehe mir raus, was mich interessiert. Der Rest kommt in einen Folder, und wenn ich Zeit habe, lese ich es. Ich hoffe, das wird bald der Fall sein.

KLAUS GRAF:
Lieber Wolfgang, herzlichen Dank für das virtuelle Gespräch, das hoffentlich keine "peinliche Befragung" war!


Das Interview wurde von Klaus Graf im September 2001 per Mail geführt.


Im Interview erwähnte Schriften von Wolfgang Behringer:

Behringer, Wolfgang: Conrad Stoeckhlin und die Nachtschar. Eine Geschichte aus der frühen Neuzeit, München 1994.

Ders.: Hexenverfolgung in Bayern: Volksmagie, Glaubenseifer und Staatsräson in der frühen Neuzeit, 3. korr. und um ein Nachwort erweiterte Auflage, München 1997 (ursprünglich 1987).

Empfohlene Zitierweise:

Stand und Perspektiven der Hexenforschung. Ein virtuelles Gespräch mit Wolfgang Behringer (Klaus Graf), in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 1 [08.07.2002], URL: <http://www.zeitenblicke.historicum.net/2002/01/behringer/behringer.html>

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ZEITENBLICKE ISSN: 1619-0459
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